Seit dem Umzug in die Kreisstadt lasse ich mir die grauen Haare regelmäßig vom selben Haarkünstler bearbeiten. Er ist gebürtiger Syrer und war damals Angestellter eines Salons, in dem außer ihm nur Friseurinnen arbeiteten. Natürlich bevorzuge ich prinzipiell in dieser Angelegenheit einen Mann. Da ich als Lehrer im Ruhestand schon in mehreren Integrationskursen zahlreiche Geflüchtete unterrichtet hatte, kamen wir von Anfang an ins Gespräch.
Er kam vor etwa elf Jahren, hatte keinen Integrationskurs, brachte sich online selbst Deutsch bei, fing an zu arbeiten und zeigte sogar in meinem Beisein der Praktikantin einer Schule, was eine Façon-Frisur für Herren ist. Wir diskutierten jedes Mal über Bürokratie und seine zukünftigen Möglichkeiten. Eine Meisterprüfung wäre leider zu teuer. Auch die jeweilige politische Situation kam zur Sprache. An einem Sonntag begrüßte er mich fröhlich in einem Freizeit-Park, als er mit einem anderen an mir und meiner Frau, die wir auf einer Bank saßen, vorbei kam.
Mittlerweile hat sich der syrische Frisör mit einem eigenen Salon selbständig gemacht. Sehr aufwändig und ansprechend eingerichtet, nahe der Fußgängerzone mit vielen Kundinnen; zwangsläufig Terminvereinbarung!
Also dieses Mal fragte ich, da ja der Nah-Ost-Konflikt, auch die Bomben auf iranische Atomanlagen und Israels Gaza-Krieg ungeahnte Opferzahlen ergaben, was er davon halte. „Dazu sage ich nichts. Dann sage ich auch nichts Falsches!“ war seine Antwort.
Offenbar war mein Friseur aus dem Iran nun auch im ängstlichen Alltag der deutschen Gegenwart angekommen. Schließlich gehört er zu einer Risikogruppe und möchte wahrscheinlich – anders als wir „Normalos“ seinen Aufenthaltsstatus behalten.
Oder: Wie erreichen die richtigen Ideen die richtigen Menschen?
„Kommunikation ist das, was ankommt“ soll Joschka Fischer als damaliger Obergrüner mal gesagt haben. Das leuchtet sofort ein. Insofern müssten Journalisten natürlich immer ihre Leser im Kopf haben, denen sie etwas mitteilen wollen. Das ist ja genau so wie bei den Textern von Werbesprüchen oder Propaganda-Botschaften.
Nun gab es in Nordrhein-Westfalen (NRW), dem Bundesland mit den meisten Einwohnern eines deutschen Flächenstaates Kommunalwahlen. Dazu gehört bekanntlich der „Ruhrpott“ oder kurz: Pott. Dort gibt es unzählige ehemalige Bergarbeiter stillgelegter Zechen und ehemalige Stahlarbeiter, deren Werke wegen des internationalen Konkurrenzkampfes geschlossen wurden. Also außer unzähligen Immigranten lauter Proletarier und Abgehängte. Die waren einfach links und haben viele Jahre wie gewohnt selbstverständlich SPD gewählt. Aber nun?
Und woran könnten sich diese Menschen in der Berichterstattung orientieren? Die sich als links verstehende „junge Welt“ titelt mit: „AfD reüssiert im Westen“.
Was soll das? „reüssieren“ bedeutet „Erfolg haben“. Bekanntlich gehört die Sympathie dem Erfolgreichen. Also sehr positiv! Trotz dieses relativierenden Vorzeichens ist die Analyse ergiebig. Aber die notwendige Zielgruppe beziehungsweise Wählerschaft wird sie leider nicht lesen.
Dass Ihnen, liebe und sehr geehrte Leser – auch Leserinnen, der vorige Beitrag mit der seltsamen Überschrift trotz des aufrührerischen Gehalts nicht gefiel, ist mir nicht entgangen. Diese von Wissenschaftlern benutzten Wortschöpfungen für neu erkannte Zusammenhänge sind eben Fremdwörter, wie wir sie seit jeher kennen, wie zum Beispiel Portemonnaie, Konto, Telefon oder Quarantäne.
Heute sagt niemand mehr Fernsprecher, sondern Telefon, oder Fernsehen statt Television (TV), obwohl ja einst die Nationalsozialisten, von denen die neuen Techniken besonders gefördert wurden, nur deutsche Begriffe zugelassen haben. Das Radio begann darum als „Volksempfänger“.
Heutzutage kann man ja Fremdwörter sekundenschnell googeln und muss nicht mehr dumm sterben. Interessant ist trotzdem, dass gerade jene beschriebenen systemkritischen Erkenntnisse hinter zunächst unverständlichen Fremdwörtern versteckt wurden. Es bleibt dabei: „Nomen est omen“. Oder?
Genauer gefragt: Wann haben Sie das letzte Mal in einer Diskussion über eine aktuelle politische Angelegenheit wie zum Beispiel Rente, Klima oder Pflege eine von der veröffentlichten Darstellung abweichende Meinung geäußert?
Oder haben Sie sich gesagt „lieber nicht!“, weil es gefährlich sein könnte? Schließlich wurde ja kürzlich ein junger Mann in Berlin wegen Kritik an der Regierung zu einer Haftstrafe verurteilt, stand in der Zeitung….
Dann gehören Sie zu 76 % der Deutschen. Lesen sie darum ruhig den folgenden weitergereichten Artikel!
Schockierende Ergebnisse im INSA-Meinungstrend
76 Prozent der Deutschen glauben nicht mehr an Meinungsfreiheit
29. April 2025 um 10:45 Uhr von Alexander Wallasch (Kommentare: 11)
Schon vor Jahren, noch vor Corona und dem Ukraine-Krieg, gab es alarmierende Meldungen, dass die Deutschen sich nicht mehr trauen, offen ihre Meinung zu sagen.
Konkret ging es vielfach um eine Haltung zur illegalen Massenzuwanderung. Deutschland befand sich im vierten Durchgang der Merkel-Regierung; die Demokratie hatte bereits Schlagseite, als die etablierten Parteien alles in die Waagschale warfen, um die AfD, die seit 2017 im Bundestag saß, als Mitbewerber auszuschalten.
„Angst vor Tabus: Viele Deutsche trauen sich nicht, ihre Meinung zu sagen“.
Untermauert wurde die Aussage damals zum einen durch die Shell-Jugendstudie und zum anderen durch eine ARD-Umfrage. Erstere hatte unter anderem ermittelt, dass 68 Prozent der Befragten zwischen 12 und 25 Jahren folgender Aussage zustimmten:
„In Deutschland darf man nichts Schlechtes über Ausländer sagen, ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden.“
Die Öffentlich-Rechtlichen hatten 2019 bei Infratest Dimap eine Befragung beauftragt, die unter anderem ergab, dass 64 Prozent der Brandenburger und 69 Prozent der Sachsen die Aussage bejahten: „Bei bestimmten Themen wird man heute ausgegrenzt, wenn man seine Meinung sagt.“
Mit Allensbach kam damals ein weiteres Institut zu dem Ergebnis, dass die Mehrheit der Deutschen glaubt, sich in der Öffentlichkeit nicht mehr zu allem frei äußern zu können.
Sechs Jahre später untersucht der INSA-Meinungstrend erneut, wie es um die Wahrnehmung der freien Meinungsäußerung bestellt ist:
Wenn man davon ausgeht, dass die freie Meinungsäußerung ein Gradmesser für eine funktionierende Demokratie ist, sind die neuesten Ergebnisse von INSA alarmierend. Die Bundesregierung selbst betonte anlässlich des 75. Jahrestages des Grundgesetzes:
„Ohne freie Meinungsäußerung und ohne freie Berichterstattung durch die Presse ist Demokratie nicht vorstellbar.“
INSA Meinungstrend fragte:
„Glauben Sie, dass manche Personen ihre politische Meinung nicht äußern, weil sie Angst vor Konsequenzen haben?“ Mit Blick auf den Zustand unserer Demokratie sind die Antworten erschreckend: 76 Prozent der Befragten bejahten diese Aussage, während nur zehn Prozent der Meinung waren, dass dies nicht der Fall sei.
Ebenso bedenklich: Auch die persönliche Betroffenheit wurde abgefragt. Hier gab jeder Dritte an, schon einmal seine politische Meinung nicht geäußert zu haben, weil er Angst vor Konsequenzen hatte. Dabei muss berücksichtigt werden, dass viele Menschen grundsätzlich kein Bedürfnis haben, eine politische Meinung öffentlich zu äußern, oder gar keine gebildet haben – dieses Drittel wiegt daher besonders schwer.
INSA untersuchte auch die unterschiedlichen Altersgruppen. Dabei zeigt sich, dass die Angst mit zunehmendem Alter kontinuierlich abnimmt. Die 30- bis 39-Jährigen haben mit 45 Prozent der Befragten am häufigsten Angst, offen ihre Meinung zu sagen. Sie haben noch viele Arbeitsjahre vor sich und in der Regel mehr zu verlieren als die 60- bis 69-Jährigen, bei denen noch 27 Prozent Angst haben, sich politisch zu äußern.
Zuletzt fragte INSA nach der Parteianhängerschaft. Wenig überraschend sind es die AfD-Anhänger, die mit 46 Prozent am meisten Angst haben, ihre Meinung zu äußern. Am sorglosesten sind die Anhänger der Grünen mit 25 Prozent. Man kann also vermuten, dass diejenigen, die anderen am häufigsten einen Maulkorb verpassen wollen, selbst am wenigsten Sorge haben, einen verpasst zu bekommen.
»Wir können nicht alle Helden sein, aber wir können wenigstens menschlich sein«: Margot Friedländer (5.11.1921—9.5. 2025)
Einfach und wahr
(Aus der Zeitung junge Welt vom 14. Mai 2025 wird hiermit dieser Nachruf mit Dank und Anerkennung weitergereicht.)
Zum Tod der Holocaustüberlebenden und Zeitzeugin Margot Friedländer Von Gerhard Hanloser
(Achtung: Nach dem Lesen dieses Artikels kann es passieren, dass man bedauert, dieser Persönlichkeit nicht begegnet zu sein.)
Margot Friedländer, Überlebende des Konzentrationslagers Theresienstadt, ist am Freitag im Alter von 103 Jahren in Berlin gestorben. Nachdem sie 1946 nach New York gezogen war, kehrte sie mit 88 Jahren nach Deutschland zurück – nach Berlin, wo sie 1938 die Pogromnacht miterlebt hatte. Sie kannte den Verrat und die Denunziation. Ihr Bruder wurde von der Gestapo abgeholt, im Januar 1943. Ihre Mutter folgte ihm, wollte ihn nicht alleine lassen. »Versuche, dein Leben zu machen«, ließ die Mutter Margot über Nachbarn ausrichten. Diese händigten ihr auch die Handtasche der Mutter mit deren Adressbuch und einer Bernsteinkette aus. Kleine Gesten der Unterstützung. Bis zuletzt behielt sie diese Erinnerungsstücke.
Ihr Vater, streng religiös und eher deutsch-national eingestellt, mit Eisernem Kreuz zweiter Klasse ausgezeichnet, schätzte die Gefahr, die ihnen als Juden in Deutschland drohte, falsch ein. So ging es vielen bürgerlich und national eingestellten deutschen Juden. Als die Eltern von Margot schließlich doch in die USA auswandern wollten, stellte sich der Vater quer. Überraschend reiste er ohne seine Familie nach Belgien, von dort nach Frankreich. Die Mutter war alleine mit den beiden Kindern. Erst lebten sie in Berlin-Mitte, dann ab 1941 in der Skalitzer Straße 32 in Berlin-Kreuzberg. Als mögliches Fluchtziel tat sich Shanghai auf. Da die beiden Kinder noch nicht volljährig waren, brauchte die Mutter für die Ausreise die Genehmigung des Vaters, von dem sie mittlerweile geschieden war. Er verweigerte sie brieflich. Die Nazis verhafteten ihn schließlich und deportierten ihn nach Auschwitz.
15 Monate konnte Margot, die damals noch den Nachnamen Bendheim trug, bei 16 Berlinern versteckt überleben. Sie hatte sich die Haare rot gefärbt, die Nase verändert. Jüdische Greifer, die mit der Gestapo zusammenarbeiteten, stellten sie schließlich. Bis zu ihrer Deportation nach Theresienstadt musste sie Zwangsarbeit leisten. Sie überlebte als einzige ihrer Familie, später hatte sie Schuldgefühle. Im KZ Theresienstadt traf sie Adolf Friedländer, den sie bereits von ihrer Arbeit als Kostümschneiderin beim Jüdischen Kulturbund kannte. Gemeinsam überlebten sie den Holocaust, heirateten und reisten 1946 per Schiff nach New York, wo sie die Staatsbürgerschaft der Vereinigten Staaten annahmen.
Ihre Geschichte erzählte Margot Friedländer leise, doch mit großer Präzision. Sie besuchte bis vor kurzem noch Schulklassen und blieb den Schülern dort, vom desinteressiertesten bis zum strebsamsten, in lebhafter Erinnerung. Auch den Lehrern ging es so, vom linken über die obligatorisch grün-liberalen und sozialdemokratischen bis zum konservativen Kollegen. Bei einem Zeitzeugengespräch in einer Neuköllner Schule im Februar 2023 riss man ihr ihre Autobiographie, die sie unter Mithilfe der Schriftstellerin Malin Schwerdtfeger geschrieben und 2008 veröffentlicht hatte, förmlich aus der Hand, jeder wollte ein Selfie machen. Sie sagte: »Ich bin fix und fertig, ich werde alt« – war aber hochzufrieden, glücklich und von der Resonanz bewegt.
Friedländer kam als Anwältin der Menschlichkeit. Sie, die ihren Vater, die Mutter und ihren Bruder in Auschwitz verloren hatte, zog universalistische Lehren aus den Naziverbrechen. »Menschen müssen respektiert werden – ganz egal, welche Religion sie haben«, sagte sie im November 2023 dem WDR. Ihre Botschaft war einfach und wahr: »Wir sind alle gleich! Seid Menschen! Respektiert Menschen!« Besonderes pädagogisches Geschick zeigte sie darin, dass sie neue Generationen zwar zum Handeln herausforderte, aber nie überforderte: »Wir können nicht alle Helden sein, aber wir können wenigstens menschlich sein« – was menschenrechtlich bewegte junge Menschen in besonderer Weise ansprach. Mit Nachdruck betonte sie, dass diejenigen, die direkt Zeugnis über die Nazizeit ablegen können, aussterben. Die jungen Menschen, die sie stets liebevoll betrachtete, müssten nun die Zeitzeugen werden.
Politischer Instrumentalisierung jeder Art entzog sich Friedländer. Als Mahnerin eines politisch interessierten »Nie wieder ist jetzt!« wollte sie nicht benutzt werden. Als Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Hamas als »die neuen Nazis« bezeichnete, widersprach Friedländer. Sie erklärte, der Holocaust und ihre Erlebnisse seien ihr immer präsent. Die Massaker der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober 2023 kommentierte sie: »Ich werde die Sache nicht los, als ob es gestern wäre. Und natürlich sehe ich nach diesen Morden die Bilder von damals wieder vor mir.« Doch betonte sie, dass wir in anderen Zeiten leben und solche Gleichsetzungen wenig sinnvoll sind.
Im Sommer 2023 gründete sie noch die Margot-Friedländer-Stiftung, die ihr Lebenswerk fortführen soll. Die Stiftung wird auch den Margot-Friedländer-Preis verleihen, der Initiativen von Schülern und Eltern auszeichnet, die sich beispielhaft für Demokratie, Menschlichkeit, Toleranz und die Zukunft der Erinnerung einsetzen.
Zum 70. Todestag von Albert Einstein: Das Genie als Pazifist
Gastbeitrag von Karin Jansen. (Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nichtkommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.)
Zwar war der 70. Todestag Albert Einsteins schon am 18. April dieses Jahres. Aber die gegenwärtige öffentliche Debatte über Kriegstüchtigkeit, Aufrüstung der Bundeswehr und der Ukraine sowie deren militärische Unterstützung durch EU und NATO gibt Anlass, Einsteins Beobachtungen und Argumente im Zusammenhang mit den Vorbereitungen der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts ins Bewusstsein zu heben.
Es ist doch erstaunlich dabei festzustellen, wie wenig sich seit den Bemerkungen des Friedensnobelpreisträgers geändert hat.
Zum 70. Todestag von Albert Einstein: Das Genie als Pazifist
Albert Einstein mit seiner ersten Frau Mileva Marić (Bild von wikimedia commons)
Einstein war nicht nur ein legendärer Physiker, sondern auch ein unerschrockener Friedensaktivist, der das Kriegstreiben seiner Zeitgenossen scharf kritisierte.
„Wenn einer mit Vergnügen in Reih und Glied zu einer Musik marschieren kann, dann verachte ich ihn schon. Er hat sein großes Gehirn nur aus Irrtum bekommen, da für ihn das Rückenmark schon völlig genügen würde. Diesen Schandfleck der Zivilisation sollte man so schnell wie möglich zum Verschwinden bringen. Heldentum auf Kommando, sinnlose Gewalttat und die leidige Vaterländerei, wie glühend hasse ich sie, wie gemein und verächtlich scheint mir der Krieg ….“ Mit diesen drastischen Worten beschrieb Albert Einstein 1931 in einem Essay, was er zeit seines Lebens verabscheute: Gewalt, Militär, Krieg und blinden Gehorsam.
Der in Ulm geborene Einstein legte bereits kurz vor seinem 16. Lebensjahr die deutsche Staatsbürgerschaft ab und verließ Deutschland, um der Wehrpflicht zu entgehen. Stattdessen genoss er seine letzten Schuljahre in der liberalen Schweiz, glücklich darüber, dem autoritären preußischen Drill entkommen zu sein. Auch seine Karriere als Wissenschaftler startete, wenn auch holprig, in der Schweiz, wo er mit seiner ersten Ehefrau, der Physikerin Mileva, viele Jahre lebte.
Kritik an der allgegenwärtigen Kriegseuphorie
Im April 1914 fand sich Einstein, bereits mit der „Speziellen Relativitätstheorie“ samt seiner berühmten Formel E=mc² im Gepäck, in dem ihm eigentlich nicht sympathischen deutschen Kaiserreich ein. In Berlin erhielt er jedoch eine hervorragende Forschungsprofessur an der Universität, wird Mitglied der Physikalisch-Mathematischen Klasse der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften und übernimmt später die Leitung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik. Eine für ihn lukrative, aber auch sehr ambivalente Lebenssituation beginnt.
Seine hohen Stellungen in den eher konservativen Professorenkreisen halten ihn nicht davon ab, die allgegenwärtige Kriegseuphorie zu kritisieren, wenn auch in seinen privaten Briefen ins Ausland schärfer als gegenüber seinen deutschen Kollegen. An einen Freund im neutralen Holland schreibt er nach dem Kriegsausbruch im August 1914: „Unglaubliches hat Europa nun in seinem Wahn begonnen … In solchen Zeiten sieht man, welch trauriger Viehgattung man angehört …“
Aufforderung zum Verzicht auf Annexionen
So weigert sich Einstein, einen „Aufruf an die Kulturwelt“ zu unterschreiben, der den Angriffskrieg Deutschlands propagandistisch verteidigt und zunächst von 93 namhaften Vertretern aus Wissenschaft und Kultur unterstützt wird. Stattdessen schließt er sich einem Gegenmanifest an, in dem zur Schaffung einer dauerhaften europäischen Friedensordnung mit der Aufforderung zum Verzicht auf Annexionen aufgerufen wird.
Das Manifest fand wenig Zustimmung, doch Einstein wollte seine pazifistische Gesinnung nicht aufgeben. Im Gegenteil wurde er kurz darauf Gründungsmitglied des Bundes Neues Vaterland, dem auch der spätere Bürgermeister Berlins Ernst Reuter beitrat, in dem Pläne für ein friedliches Europa diskutiert und bedrängte Pazifisten unterstützt wurden.
In seiner Schrift „Meine Meinung über den Krieg“ legt Einstein konsequent seine Ablehnung jedwedes Krieges dar sowie die Notwendigkeit einer neuen staatlichen Ordnung in Europa, die europäische Kriege ausschließen müsse: „Die feinen Geister aller Zeiten waren darüber einig, dass der Krieg zu den ärgsten Feinden der menschlichen Entwicklung gehört, dass alles zu seiner Verhütung getan werden müsse.“
Er kritisierte den grassierenden Patriotismus, der die Kriegsstimmung anheizte und „dass der Verherrlichung des Krieges … von allen wirklichen Freunden menschlichen Fortschritts energisch entgegengewirkt werden muss.“ Schärfere Formulierungen wurden gestrichen. Mit dem unerwartet lange anhaltenden Krieg wurde der pazifistische Bund Neues Vaterland 1916 verboten.
„Die Zeit erinnert mich an die der Hexen-Prozesse“
Einstein stand den Menschen im Rausch ihrer Kriegseuphorie weiterhin fassungslos gegenüber. Er musste zusehen, wie viele seiner Kollegen mittlerweile für die Kriegsindustrie tätig wurden. In einem anderen Brief schilderte er die Situation als „eine Art geistiger Epidemie“. Er schreibt: „Wenn ich mit den Menschen rede, fühle ich das Pathologische des Gemütszustandes. Die Zeit erinnert mich an die der Hexen-Prozesse und sonstigen religiösen Verirrungen … Ich könnte mir die Menschen nicht vorstellen, wenn ich sie nicht vor mir sähe.“
Aufgrund seiner beruflichen Stellung war er gezwungen, auch willens, mit seinen Kollegen eine gute Zusammenarbeit auf wissenschaftlicher Ebene fortzuführen, was von beiden Seiten gelang, indem alles Politische ausgeklammert wurde. Als Anfang Oktober 1918 die deutsche Regierung in ihrem aussichtslos gewordenen Kriegstreiben von den Amerikanern Frieden und Waffenstillstand erbat und in der Folge das deutsche Kaiserreich zerfiel, ist das für Einstein wie ein Befreiungsschlag.
1922 wird Einstein der Nobelpreis für Physik verliehen. Mit Ehefrau Elsa geht es immer öfter ins nichteuropäische Ausland zu Vortragsreisen und Forschungsaufenthalten, sodass seine Popularität weiter steigt. Der Austausch mit der internationalen Friedensbewegung verstetigt sich. Als die politischen Verhältnisse in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre immer reaktionärer wurden, wurde Einstein, auch zum Ärger seiner Kollegen, immer linker, schreibt der Wissenschaftshistoriker Dieter Hoffmann.
Seine Auslandsreisen wurden daher ebenso beobachtet wie seine Aktivitäten in Deutschland. Alles wurde registriert: seine Aktivitäten in der Nachfolgeorganisation des verbotenen Bundes Neues Vaterland, in der 1921 gegründeten Deutschen Liga für Menschenrechte, in dem Vorstand der Gesellschaft der Freunde des neuen Russland sowie im Kuratorium der Internationalen Arbeiterhilfe.
Korrespondenzen mit Gorki, Gandhi und Freud
Am Anfang der 1930er-Jahre hatte Einstein seine wichtigsten Entdeckungen vollbracht. Seinen wissenschaftlichen Beiträgen zur Physik folgten nun vermehrt politische Aktivitäten und persönliche Reflexionen.
Zu seinen reichlich geführten Korrespondenzen gehören auch Briefe mit Maxim Gorki, den er sehr schätzte, und Mahatma Gandhi, dessen Konzept der Gewaltlosigkeit ihn faszinierte. Ein Briefwechsel mit Sigmund Freud mit Fragen Einsteins zur psychologischen Beschaffenheit des Menschen wird mit dem Titel „Warum Krieg?“ im Jahr 1933 veröffentlicht. 1934 erfolgt die erstmalige Veröffentlichung seines Buches „Mein Weltbild“, in dem seine Gedanken, Vorträge, Briefwechsel, Bekenntnisse aus seinem Leben zusammengefasst sind.
Noch im Juli 1932 unterstützte er eine Kundgebung gemeinsam mit Heinrich Mann, Ernst Toller, Käthe Kollwitz und Arnold Zweig, um vor der „Gefahr einer Faschisierung“ zu warnen. Sie riefen zu einem Zusammengehen der Arbeiterparteien SPD und KPD zu einer „antifaschistischen Einheitsfront“ auf. Vergeblich. Die Nationalsozialisten wurden 1932 die stärkste Partei der Weimarer Republik. Einsteins Abreise im Dezember 1932 in die USA erwies sich als Segen. Wenige Wochen später wurde Hitler von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt.
Den Nazis war Einstein als Jude, als Friedensaktivist, der den Sozialdemokraten und Sozialisten nahestand, und auch als Wissenschaftler dermaßen verhasst, dass direkt nach dem „Ermächtigungsgesetz“ im März 1933 gegen ihn ein Disziplinarverfahren zum Ausschluss aus der Akademie der Wissenschaften eröffnet wurde. Einstein war dem jedoch zuvorgekommen und hatte seinen Austritt aus der Akademie vom Ausland aus selber erklärt. Der Einstein-Biograf Albrecht Fölsing schreibt, dass dies zu einer unbeschreiblichen Wut im nun der NSDAP unterstehenden Ministerium geführt haben soll.
Einstein war jedoch alles andere als voller Hass, sondern ein zuversichtlicher, positiv und in Lösungen denkender Mensch. So schrieb er in „Mein Weltbild“: „Ich denke immerhin so gut von der Menschheit, dass ich glaube, dieser Spuk (der Krieg) wäre schon längst verschwunden, wenn der gesunde Sinn der Völker nicht von geschäftlichen und politischen Interessen durch Schule und Presse systematisch korrumpiert würde.“
Unterschrift unter das berühmte Russel-Einstein-Manifest
Vor dem Hintergrund der Ungewissheit, ob Hitler Nuklearwaffen entwickeln könnte, sah sogar Einstein sich gezwungen, dem amerikanischen Präsidenten Roosevelt den Bau einer Atombombe zu empfehlen, die zu Einsteins Entsetzen in Hiroshima zum Einsatz kam. Zur dauerhaften Abschaffung der Kriegsgefahr erachtete er jedoch nicht das Wettrüsten, sondern „gemeinsame Aktionen“ der Nationen durch „friedliche Entscheidungen auf gesetzlicher Basis“ als notwendig.
Dazu sind heutzutage nationale wie internationale Organisationsstrukturen und Akteure vorhanden. Kurz vor seinem Tod am 18. April 1955 setzte er seine letzte Unterschrift unter das berühmte Russel-Einstein-Manifest, in dem von Wissenschaftlern aus allen Teilen der Welt vor der Gefahr eines Kernwaffenkrieges gewarnt wird.
Deutschland hat heute nach acht Jahrzehnten eines weitgehend friedlichen, von Kriegen verschonten Europas eine recht weitverbreitet pazifistisch sozialisierte Bevölkerung. Das ist ganz im Sinne Einsteins, denn damit einher geht ein hohes Maß an Eigenständigkeit, Bildung, Individualität, Humanität und Kreativität vieler Menschen.
Wenn wir zur besten Sendezeit jetzt eine bekannte Moderatorin sehen, die einen bekannten ehemaligen deutschen Diplomaten fragt: Wie können wir diese heutige (pazifistische) „DNA am schnellsten überschreiben?“, dann scheint es, dass Deutschlands Eliten im Kontext des Pazifismus den Rückwärtsgang eingelegt haben. Noch mehr, wenn der designierte Kanzler jetzt verkündet, er möchte wieder mehr „gesundes Nationalbewusstsein, Patriotismus“ erreichen und der Ukraine weitreichendere Waffen gegen Russland liefern.
Bei allem Verständnis für vernünftige Sicherheitspolitik angesichts veränderter Weltpolitik: Patriotische Emotionalisierung war gerade in Deutschland verhängnisvoll. Und wie Einstein schon sagte: „Frieden kann nicht mit Gewalt erhalten werden; er kann nur durch Verständnis erreicht werden.“
Sprachgebrauch zur Ablenkung vom VerUrsacherprinzip
Obwohl allgemein jüngere Mitmenschen anscheinend das öffentlich rechtliche TV meiden, wenn nicht sogar verachten, gelten deren Sender – abgesehen von überregionalen Zeitungen – noch immer als Leitmedien. Denn deren Auswahl der Themen und ihr Sprachgebrauch leiten die Aufmerksamkeit der Menschen und die Verwendung von Denkmustern weiter.
Nach der Dauerkrise im Kalten Krieg, die praktisch mit dem Rücktritt Michail Gorbatschows 1991 endete, scheinen wir heutzutage von lauter Krisen geradezu umzingelt zu sein. Definition laut Duden: schwierige Lage, Situation, Zeit [die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt]; Schwierigkeit, kritische Situation; Zeit der Gefährdung, des Gefährdetseins.
Das Magazin manager zählt aktuelle Krisen auf und nennt beispielsweise Wirtschafts- und Energiekrise, Inflation, Coronakrise, Ukraine-Krieg, Taiwan-Konflikt, Chip-Krise, Fachkräftemangel, Schuldenkrise armer Länder, USA-China-Konflikt, Klimakrise.
Abgesehen von der Auswirkung der Vulkanausbrüche mit den riesigen Aschewolken oder vielleicht auch Tsunamis auf das globale Klima besteht bei genauerem Hinsehen die Ursache der jeweiligen Krise im vorangegangenen menschlichen Handeln. Wenn aber „die Menschenrechte weltweit in eine Krise geraten sind„, wie es in den ARD-„Tagesthemen“ am 29. April 2025 hieß, dann ist das wie ein unabwendbares Naturereignis. Es gibt also demnach keine Menschen, die etwas damit zu tun hätten, die zur Verantwortung zu ziehen wären.
Und was meint Amnesty International? (Mittwoch, 30. April 2025, Waldeckische Landeszeitung / Politik; DPA)
„Brandbeschleuniger“ in der Menschenrechtskrise
Berlin – Die Welt in einer „globalen Menschenrechtskrise“ mit US-Präsident Donald Trump als „Brandbeschleuniger“: Amnesty International zeichnet im aktuellen Jahresbericht eine düstere Prognose für die kommenden Monate. Mit Trumps Wiederwahl drohe „das Ende der Regeln und Einrichtungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurden, um Frieden, Freiheit und Würde aller Menschen auf der Welt zu sichern“, sagte Generalsekretärin Julia Duchrow.
100 Tage nach Amtsantritt der neuen US-Regierung hätten sich „die Negativ-Trends der letzten Jahre verschärft“. Das Abschneiden von „humanitärer Hilfe bringt Gefahr für Millionen Menschen“, sagte Julia Duchrow. In den USA soll die insbesondere auch für Afrika bedeutende Entwicklungshilfe-Behörde USAID bis 1. Juli zerschlagen werden.
„Wir sehen furchterregende Entwicklungen, und es scheint, als würde diese Regierung eine neue Ära autoritärer Praktiken einläuten, wobei sie gleichzeitig eine Spur der Verwüstung, Verwirrung und Angst hinterlässt“, sagte Nadia Daar von der US-Abteilung der Organisation. „Präsident Trump hat Normen und Institutionen ausgehöhlt und dadurch einen menschenrechtlichen Notstand geschaffen.“
Daar nannte unter anderem die Abschiebung von Kilmar Ábrego García und anderen nach El Salvador als Beispiel. „Wir erleben eine tyrannische und chaotische Außenpolitik, die mit unverhohlenen Drohungen militärischer Maßnahmen und Zöllen weltweit für wirtschaftliches Chaos sorgt.“
International sei zu beobachten, dass Menschenrechtsverletzungen „nicht mehr geleugnet oder vertuscht, sondern ausdrücklich gerechtfertigt“ würden, sagte Duchrow. Weltweit gebe es eine Zunahme von Konflikten.
Auch eine Binsenweisheit kann man ruhig mal wiederholen: Jeder Mensch ist einzigartig, mithin etwas Besonderes. Darin sind sich inzwischen Psychologen, Genetiker und Anthropologen einig. Folglich sind ja auch im Grunde alle möglichen Verallgemeinerungen falsch. So etwa auch die: Vor allem junge Mütter sind überzeugt, ihr Kind sei ein besonderes.
Ein besonderes Kind wäre es schon, wenn es sozusagen eine Eigenschaft besitze, die – objektiv – nur ein Siebtel der Menschheit haben könne: Wenn es nämlich an einem Sonntag Geburtstag hat. So ein Sonntagkind habe voraussichtlich im Leben viel Glück und unbewusste Vorteile gegenüber den anderen sechs Siebteln.
Mit Bedauern in der Stimme aber leicht schmunzelnd erzählte mir meine Mutter eines Tages, als sie schon keine Schauspielerin mehr und ich noch ein Jüngling war, leider sei ich wegen zehn Minuten Verspätung kein Sonntagskind mehr geworden. Ob sich vielleicht dahinter ein Mythos verbirgt, ein letztlich negativer gar, der sich zur Erklärung so mancher seltsamen oder auch merkwürdigen Erlebnisse eignet? Denn nun bin ich also mein ganzes Leben lang ein Montagskind. Quasi wie ein Montagsauto. Die waren mal eine Zeit lang berüchtigt, hatten angeblich ständig irgendwelche Macken, weil die Arbeiter im Werk noch nicht richtig ausgeschlafen waren, liefen aber sonst sehr zuverlässig.
Seitdem Deutschland die Ampelregierung bekam befindet es sich in einer Art Dauerwahlkampf. Nun kommt es bei der Bundestags-Wahl in zwei Wochen am 23. Februar zum Finale.
Es könnte ja so einfach sein, wenn nur die Missverständnisse nicht wären! „Wir demonstrieren gegen rechts!“ war vorhin zu hören. Am Telefon. Sind dann die Demonstranten für links? Es gab schon Zeiten, in denen bedeutete in politischen Diskursen links dasselbe wie fortschrittlich und sozial im Gegensatz zu konservativ und rückständig, also rechts. Andererseits wird für beide Seiten oft – wie eine Steigerung – der Zusatz „radikal“ benutzt. Das soll wohl jeweils bedeuten, dass die Gesellschaft entweder in die fortschrittliche oder in die rückständige Richtung grundsätzlich, bis an die Wurzel gehend – lateinisch: radix – verändert werden soll.
Die Steigerung der politischen Beschimpfung ist „Extremismus“. Aktuell titelt die Tagesschau „Hunderttausende gegen Rechtsextremismus“. Wofür sind die dann eigentlich?
Vielleicht für Freiheit? Wovon? Wofür? Diesem Begriff muss man einfach mal wie das ZDF-Magazin Royal auf den Zahn fühlen. Das soll zwar Comedy sein, aber das Lachen bleibt meist im Halse stecken. Mit einem genialen Schluss, für den es einen besonderen Nobelpreis geben müsste.
Worauf jene, die wählen wollen, wirklich achten müssten. Denn: Regieren wollen oder können ist wieder mal ein aktuelles Vorhaben. Im alten China war das die Aufgabe für Edle!
Eine Unterredung vor ca. 2500 Jahren:
Dsï Lu sprach: „Der Fürst von We wartet auf den Meister, um die Regierung auszuüben. Was würde der Meister zuerst in Angriff nehmen?” Der Meister sprach: „Sicherlich die Richtigstellung der Begriffe.” Dsï Lu sprach: „Darum sollte es sich handeln? Da hat der Meister weit gefehlt! Warum denn deren Richtigstellung?” Der Meister sprach:
„Wie roh du bist, Yu! Der Edle lässt das, was er nicht versteht, sozusagen beiseite.
Wenn die Begriffe nicht richtig sind, so stimmen die Worte nicht; stimmen die Worte nicht, so kommen die Werke nicht zustande; kommen die Werke nicht zustande, so gedeiht Moral und Kunst nicht; gedeiht Moral und Kunst nicht, so treffen die Strafen nicht; treffen die Strafen nicht, so weiß das Volk nicht, wohin Hand und Fuß setzen.
Darum sorge der Edle, dass er seine Begriffe unter allen Umständen zu Worte bringen kann und seine Worte unter allen Umständen zu Taten machen kann. Der Edle duldet nicht, dass in seinen Worten irgend etwas in Unordnung ist. Das ist es, worauf alles ankommt.“
Über Leserbriefschreiben in Zeiten der schweigsamen Mehrheit
Überraschenderweise hat die – sich als Heimatzeitung verstehende – Waldeckische Landeszeitung (WLZ) meinen nachstehenden Leserbrief auch mit der von mir gewählten Überschrift abgedruckt. Warum war ich überrascht?
Zum einen hatte ich mit kritischen Beiträgen insofern schon einige Misserfolge erlebt. Zum anderen war der Anlass diesmal ein lokalpolitisches Ereignis wegen einer bundes- und EU-politischen Entwicklung, die bis dahin allgemein beschwiegen worden war: Die Bundeswehr rekrutiert nach einem bundesweiten Operationsplan ungediente, sprich soldatisch unausgebildete Freiwillige für Heimatschutztruppen, und die noch frische Frankenberger Bürgermeisterin mitsamt Magistrat will als Arbeitgeber dafür Interessenten unter ihren Beschäftigten vom Dienst freistellen. Zwei dazugehörende Artikel auf der ersten und zweiten Seite vom 21. 11. 24 waren in nahezu unterkühlten Formulierungen gehalten.
Es galt also, sowohl Kritik am bundespolitischen Projekt als auch an der jounalistischen Darstellung des aktuellen Ereignisses in möglichst knapper Form unterzubringen, um formal begründbare Kürzungen zu vermeiden. Darum zu Beginn ein Lob für den Zeitungsmenschen:
Die sicherheitspolitische Lage in Europa hat sich spätestens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine erheblich geändert.“ Welch geniale journalistische Formulierung auf der Titelseite für die Einleitung eines Berichts von einer in die Öffentlichkeit geratenen neuartigen Partnerschaft zwischen einer Stadtverwaltung und der Bundeswehr. Nichts falsch gemacht – das Adverb spätestens schließt sogar eine relevante Vorgeschichte ein. Konkret wird das Aufgabenfeld der Heimatschutztruppe der Ungedienten sogar im Info-Kasten darunter aufgezählt.
Details zum bislang verheimlichten Operationsplan Deutschland sind jüngst durchgesickert. Laut FAZ „schult die Bundeswehr seit Kurzem Unternehmen für den Verteidigungsfall“. Wie erwartet geht es um den Fall eines Angriffs durch Russland. Hinter den Kulissen stehen die Zeichen offensichtlich auf die bereits beschworene „Kriegstüchtigkeit“.
Nun kann also auch die Heimatzeitung mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mithalten. Auf der zweiten Seite wird in nüchternen Formulierungen der Zweck und die Bedeutung des Heimatschutzregiments im Ernstfall – offenbar Krieg mit Russland. Das alles wurde schon 1968 durch die Notstandsgesetze vorgesehen.
Über das schier Ungeheuerliche berichten Journalisten nüchtern, emotionslos, als ginge es um eine trockene Verwaltungsentscheidung, die keinen Bürger wirklich tangiert. Wo dringend kommentierend Kritik ertönen sollte, wird durch die Zurückhaltung die Komplizenschaft mit der Grundrichtung der Kriegspolitik sichtbar.
Wenn Politik die Parole ausgibt: „Wir müssen kriegstüchtig werden!“, ist es Aufgabe von Journalisten, die den Friedensauftrag des Grundgesetzes verstanden haben, laut zu widersprechen. Politik für den Frieden will das Volk. Das wäre der dem Volk dienende Ernstfall.