Mehr als ein Nachruf

„Unermüdlich kämpfte sie gegen Rassismus, Ausgrenzung, Hass. Und je älter Margot Friedländer wurde, desto wichtiger wurde sie für dieses Land.“ So hat Christoph Amend seinen Nachruf auf Zeit Online für jene Überlebende des KZ Theresienstadt eingeleitet, die nach ihrer Befreiung zwar zunächst nach Amerika emigrierte, aber wieder nach Deutschland kam, um mit Ausdauer und Menschlichkeit nicht nur in Schulen als Zeitzeugin zu wirken. Bewunderung und Dankbarkeit finden sich in allen erreichbaren Nachrufen.

Auf Zeit Online gefunden und mit Dank weitergereicht:

Tod von Margot Friedländer: Sie war so sehr Mensch

In ihren letzten Lebensjahren gewann Margot Friedländer als Botschafterin für die Menschlichkeit überlebensgroße Bedeutung. Eine Erinnerung

Von Götz Hamann

10. Mai 2025, 16:13 Uhr 96 Kommentare

Die fünfstöckige Torte, vor der Margot Friedländer an ihrem 102. Geburtstag stand, war fast halb so groß wie die zierliche Frau. Wie immer hatte sie in eine repräsentative Privatvilla geladen, die nicht ihre eigene war, die Gäste waren in der großzügigen Küche zusammengekommen. Die Torte, ein erbackenes Kunstwerk von Martin Werthmann, stand auf der Kochinsel, und als alle Kerzen angezündet waren, begannen die Gäste Viel Glück und viel Segen zu singen. Friedländer, in der Mitte stehend, das Gesicht auf Höhe der Kerzen, war hell erleuchtet. Sie lächelte. Neben ihr stand der Bundespräsident, Frank-Walter Steinmeier, und nachdem das Lied zu Ende war, alle applaudiert und gejubelt hatten, bliesen die beiden gemeinsam die Kerzen aus. Also sie versuchten es. Denn es waren 102 Kerzen, die auf dem Tortenplateau wie ein dichter Wald zusammenstanden. Schließlich schafften sie es doch.

Dieser Moment ist wie eine Metapher für das, was Margot Friedländer für viele Menschen in Deutschland war. Ein Mittelpunkt. Ein Licht. Wie viele Leben in Berlin und in ganz Deutschland hat sie in den vergangenen zwei Jahrzehnten wohl bereichert? Seitdem sie, nach mehr als sechs Jahrzehnten in New York, 88-jährig in ihre Heimat Berlin zurückgekehrt war. Als ich sie vor zwei Jahren besuchte, holte Margot Friedländer irgendwann einen großen Stapel Kalender aus einer Schublade, sie legte sich die Bücher auf den Schoß, begann zu blättern. Auf den Seiten war notiert, wo sie überall schon gesprochen hatte und aufgetreten war, in wie vielen Schulen Margot Friedländer ihre Geschichte erzählt hatte. Ihre Geschichte, wie sie sich als deutsche Jüdin vor den Nationalsozialisten verstecken musste, wie sie später im Konzentrationslager Theresienstadt überlebte – und wie sie gerettet wurde. Als einzige ihrer direkten Familie überlebte Friedländer die Schoah.

Tod von Margot Friedländer: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gratuliert Friedländer im November 2023 nachträglich zu ihrem 102. Geburtstag.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gratuliert Friedländer im November 2023 nachträglich zu ihrem 102. Geburtstag. © Bernd von Jutrczenka/​dpa

Botschafterin der Herzensbildung

Ihr Überleben sollte einen Sinn haben, entschied Friedländer. Sie wollte Kinder und Jugendliche für ihre Botschaft gewinnen, menschlich zu handeln, damit so etwas wie während der Gewaltherrschaft der Nazis nie wieder geschehen kann: der Mord an sechs Millionen Juden und vielen anderen mehr, die Friedländer nie zu erwähnen vergaß. Sie war eine Botschafterin der Herzensbildung. Der Historiker Michael Wolffsohn hat kürzlich gesagt, für Herzensbildung brauche es kein Wissen, brauche es keinen Universitätsabschluss. Herzensbildung setze früher ein. Margot Friedländer hat genau das getan: Sie hat zur Herzensbildung von vielen Hunderttausend Deutschen beigetragen.

„Trierer Rede“: Freiheit in den Demokratien akut gefährdet

Weitergereicht und empfohlen!

(pe) Bei der „Trierer Rede“, die auf Einladung der Stadt Trier jährlich am 5. Mai zum Geburtstag von Karl Marx stattfindet, setzte sich der Publizist und Historiker Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk in der voll besetzten Promotionsaula mit der hochaktuellen Frage auseinander, welchen Stellenwert Demokratie und Freiheit in der heutigen Gesellschaft haben. Angesichts vielfältiger Bedrohungen durch aggressive und autoritäre Entwicklungen auf internationaler Ebene, nicht zuletzt mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine, aber auch in der Innenpolitik, ist er eher pessimistisch: „Die Freiheitserfahrung durch den Mauerfall 1989 hat für mich das größte politische Glück meines Lebens bedeutet. Ich habe aber die Gewissheit von 1989 verloren, nie wieder Diktatur und Unfreiheit zu erleben“, so Kowalczuk. Die Lage sei auch deswegen so dramatisch, weil der Kampf um Freiheit nicht nur in Deutschland geführt werde, sondern in vielen Ecken der Welt. Trotz allem hoffe er weiterhin, dass seine pessimistischen Befürchtungen nicht eintreten würden. 

Im ersten Teil seiner Rede plädierte Kowalczuk nach der Begrüßung durch Kulturdezernent Markus Nöhl unter anderem dafür, Karl Marx losgelöst von dem ideologischen Missbrauch durch die kommunistischen Regimes zu sehen und seine bemerkenswerten Ideen zum Thema Freiheit neu zu entdecken. Die Aufzeichnung der „Trierer Rede“ 2025 ist über den Trierer Bürgerrundfunk verfügbar: www.ok54.de.

„In eine Krise geraten“

Sprachgebrauch zur Ablenkung vom VerUrsacherprinzip

Obwohl allgemein jüngere Mitmenschen anscheinend das öffentlich rechtliche TV meiden, wenn nicht sogar verachten, gelten deren Sender – abgesehen von überregionalen Zeitungen – noch immer als Leitmedien. Denn deren Auswahl der Themen und ihr Sprachgebrauch leiten die Aufmerksamkeit der Menschen und die Verwendung von Denkmustern weiter.

Nach der Dauerkrise im Kalten Krieg, die praktisch mit dem Rücktritt Michail Gorbatschows 1991 endete, scheinen wir heutzutage von lauter Krisen geradezu umzingelt zu sein. Definition laut Duden: schwierige Lage, Situation, Zeit [die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt]; Schwierigkeit, kritische Situation; Zeit der Gefährdung, des Gefährdetseins.

Das Magazin manager zählt aktuelle Krisen auf und nennt beispielsweise Wirtschafts- und Energiekrise, Inflation, Coronakrise, Ukraine-Krieg, Taiwan-Konflikt, Chip-Krise, Fachkräftemangel, Schuldenkrise armer Länder, USA-China-Konflikt, Klimakrise.

https://www.manager-magazin.de/politik/inflation-energiekrise-klimakrise-und-co-uebersicht-ueber-alle-krisen-die-die-welt-derzeit-plagen-a-9c436a59-b3c9-45ba-ac4e-8110a729d4b4

Abgesehen von der Auswirkung der Vulkanausbrüche mit den riesigen Aschewolken oder vielleicht auch Tsunamis auf das globale Klima besteht bei genauerem Hinsehen die Ursache der jeweiligen Krise im vorangegangenen menschlichen Handeln. Wenn aber „die Menschenrechte weltweit in eine Krise geraten sind„, wie es in den ARD-„Tagesthemen“ am 29. April 2025 hieß, dann ist das wie ein unabwendbares Naturereignis. Es gibt also demnach keine Menschen, die etwas damit zu tun hätten, die zur Verantwortung zu ziehen wären.

Und was meint Amnesty International? (Mittwoch, 30. April 2025, Waldeckische Landeszeitung / Politik; DPA)

„Brandbeschleuniger“ in der Menschenrechtskrise

Berlin – Die Welt in einer „globalen Menschenrechtskrise“ mit US-Präsident Donald Trump als „Brandbeschleuniger“: Amnesty International zeichnet im aktuellen Jahresbericht eine düstere Prognose für die kommenden Monate. Mit Trumps Wiederwahl drohe „das Ende der Regeln und Einrichtungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurden, um Frieden, Freiheit und Würde aller Menschen auf der Welt zu sichern“, sagte Generalsekretärin Julia Duchrow.

100 Tage nach Amtsantritt der neuen US-Regierung hätten sich „die Negativ-Trends der letzten Jahre verschärft“. Das Abschneiden von „humanitärer Hilfe bringt Gefahr für Millionen Menschen“, sagte Julia Duchrow. In den USA soll die insbesondere auch für Afrika bedeutende Entwicklungshilfe-Behörde USAID bis 1. Juli zerschlagen werden.

„Wir sehen furchterregende Entwicklungen, und es scheint, als würde diese Regierung eine neue Ära autoritärer Praktiken einläuten, wobei sie gleichzeitig eine Spur der Verwüstung, Verwirrung und Angst hinterlässt“, sagte Nadia Daar von der US-Abteilung der Organisation. „Präsident Trump hat Normen und Institutionen ausgehöhlt und dadurch einen menschenrechtlichen Notstand geschaffen.“

Daar nannte unter anderem die Abschiebung von Kilmar Ábrego García und anderen nach El Salvador als Beispiel. „Wir erleben eine tyrannische und chaotische Außenpolitik, die mit unverhohlenen Drohungen militärischer Maßnahmen und Zöllen weltweit für wirtschaftliches Chaos sorgt.“

International sei zu beobachten, dass Menschenrechtsverletzungen „nicht mehr geleugnet oder vertuscht, sondern ausdrücklich gerechtfertigt“ würden, sagte Duchrow. Weltweit gebe es eine Zunahme von Konflikten.

ÖPNV-Nachricht aus dem Autoland

ÖPNV-„Hilferuf“: Bundesländer wollen mehr Geld vom Bund | BR24

„Pars pro toto“ sagten die klassischen Römer wenn sie feststellten, dass man in einem Teil das Typische eines Ganzen erkennen könne. So wie hierbei, warum Busse in ländlichen Städten und Regionen so wenig genutzt werden.

Eigentlich ist es nichts Ungewöhnliches: Bei knapp 50 Millionen PKW auf Deutschlands Straßen gibt es öfter mal Pannen und dann wird ein Abschleppdienst gebraucht. Wenn es sich um die Familienkutsche handelt muss sie wenn möglich repariert werden und steht eine Weile nicht wie gewohnt zum privaten Individualverkehr zur Verfügung für die alltäglichen Besorgungen.

Kürzlich traf es uns. Kupplung kaputt. Am nächsten Tag hatte ich einen Routine-Termin beim Physiotherapeuten. Bisher dauerte es mit dem Auto dorthin höchstens eine Viertelstunde. Da könnte ich ja endlich mal auch den Örtlichen Personennahverkehr (ÖPNV) nutzen, dachte ich. Denn etwa 120 Meter von unserer Wohnung haben wir eine Bushaltestelle für den Stadtbus!

Als wir vor vier Jahren unseren Wohnsitz nach Korbach verlegten, bekamen wir bei der Ummeldung mit einigen anderen hilfreichen Unterlagen auch einen Fahrplan für die städtischen Buslinien. Da der aber leider, also natürlich nicht zu finden ist, erkundigte ich mich telefonisch im Rathaus nach einer passenden Verbindung.

Die freundliche Dame vom Bürgerbüro vermittelte mich an einen Herrn, der mir erklärte, dass die Stadt derzeit nur zwei Busse auf den vorgesehenen Linien fahren habe, die beide das Ziel Hauptbahnhof haben, wo man in den Bus einer anderen Linie umsteigen könne. Manchmal sei das dann auch derselbe Bus, der nur die Nummerierung gewechselt habe. In meinem Fall wäre das dann die Linie 5, die dann aber durch das Gewerbegebiet und schließlich an der Haltestelle meines Zieles vorbei führe.

Auf die Frage, wieviel Zeit ich dafür brauche, antwortete er: „Dann müssen Sie etwa mit einer Stunde Fahrtzeit rechnen.“

Zum Glück fand ich an dem Tag in der Verwandtschaft jemanden mit Auto und etwas Zeit.

„Wer sich nicht wehrt lebt verkehrt“?

Aus Opas unordentlichem Leben (3)

Man erinnere sich: Jene Jungspunde, die wir als „68-er“ in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte – erst als APO und dann mit dem Marsch durch die Institutionen – etwa ein halbes Jahrhundert prägten, sowohl gesamtgesellschaftlich als auch kulturell und künstlerisch, haben ursprünglich mit diesem „sich wehren“ zu Demonstrationen gegen Regierungspläne und -handeln (z. B. Polizeigewalt, Notstandsgesetze, Volkszählung) mit einem Ausrufezeichen aufgerufen.

Demo 1968 in Gießen gegen die geplanten Notstandsgesetze. (Foto: admin)

Inzwischen wurde die grundgesetzliche Wehrpflicht ausgesetzt und die Bundeswehr hat darum zu wenig Personal. Somit sei Deutschland nicht wehrfähig, meint nicht nur der Verteidigungsminister, der ja auch in der kommenden Regierung sein Amt behalten soll. Der SPD-Politiker möchte die Wehrerfassung so verbessern, dass mit Vollendung des 18. Lebensjahres alle jungen Menschen als wehrfähig erfasst und verpflichtet werden können.

Hierzu gibt der folgende Kommentar zu einem Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) eine Orientierungshilfe:

Ehre, wem Ehre gebührt!

Die zwanghafte Mystik der Jahreszahlen: Alle haben dies Gedenkjahr unaufhaltsam auf sich zukommen sehen, die Redakteure der „Leitmedien“, die für ihre Brötchengeber nach und nach an 80 Jahre zurückliegende Ereignisse erinnern sollen.

Zwar ließ sich am 27. Januar nicht vermeiden, dass trotz der aktuell offiziösen Russophobie anlässlich der Gedenkfeiern an die Befreiung des KZ Auschwitz die Soldaten der Sowjetarmee erwähnt wurden, auch wenn es sich erst – noch unkorrigiert – so anzuhören schien, als seien Amerikaner die Befreier gewesen.

Aber nun, da es um die Befreiung des KZ Buchenwald am 11. April 1945 geht, war in der Tagesschau vom 6. April 2025 tatsächlich schon zu hören, es sei von amerikanischen Soldaten befreit worden. Auch wer „Befreiung KZ Buchenwald“ googelt erhält diese Auskunft:

Am 11. April 1945 hatten amerikanische Truppen das KZ Buchenwald befreit und fanden dort noch 21.000 überlebende Häftlinge vor. In Buchenwald waren während der NS-Zeit insgesamt fast 280.000 Menschen inhaftiert.

Weil das nachweislich nicht den historisch belegten Tatsachen entspricht, denen zufolge die selbstorganisierten Gefangenen sich schon befreit und teilweise sogar Wachpersonal gefangen hatten, bevor Soldaten der amerikanischen 3. Armee des Generals Patton erreichten, sei der folgende – sehr informative Artikel dringend empfohlen:

https://www.jungewelt.de/artikel/497495.antifaschismus-aus-eigener-kraft.html

In Anbetracht der weiter anstehenden geschichtsträchtigen Daten in diesem Jahr ist zu befürchten, dass noch mehr für Fakten-Checker zu tun sein wird.

Nur noch politische Schweinereien?

Wer hätte dergleichen noch vor 15 Jahren in Deutschland für möglich gehalten?

1.) Der durch eine Wahl faktisch abgewählte alte Bundestag beschließt in den ihm nach der Wahl verbliebenen zwei Wochen Restlaufzeit gemeinsam mit der ebenfalls abgewählten Noch-Koalitionsregierung ein Billionen-Schuldenpaket, das überwiegend für Kriegs- und Rüstungskredite bestimmt ist und von den kommenden zwei Generationen mit Zins und Zinseszins abgestottert werden soll!

„Der 20. Deutsche Bundestag hat am Dienstag, 18. März 2025, wenige Tage vor dem Zusammentritt des künftigen Bundestages, den von SPD und CDU/CSU eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes (20/15096) gebilligt. Namentlich stimmten 512 Abgeordnete für das zuvor im Haushaltsausschuss noch geänderte Gesetz (20/15117), 206 votierten dagegen, es gab keine Enthaltung.“ (Quelle: bundestag.de)

Das aus haushaltsrechtlichen Gründen in Orwellscher Manier „Sondervermögen“ genannte Schuldenpaket enthält auch noch – quasi als Trostpflaster – ein Milliarden schweres „Infrastruktur-Paket“ für die Sanierung von Straßen, Brücken, Schulen und Bundesbahn. Dabei haben die aktuellen Regierungs-Koalitionsparteien SPD und CDU/CSU in den vergangenen 20 Jahren diese Schäden mit ihrer Sparsamkeitspolitik („Schuldenbremse“ und „schwarze Null“) doch selbst sehenden Auges verursacht.

2.) Das gerade neu konstituierte Bundesparlament kann seine Arbeit nicht termingerecht aufnehmen, weil ein selbsternannter Ältestenrat die erste reguläre Arbeitssitzung vertagt hat.

Welche Debattenbeiträge werden da gefürchtet und sollen verzögert werden? Hat es da vielleicht in den Leitmedien ein Protestgeschrei gegeben? Ach woher. Man starrt vielmehr auf die Koalitonsverhandlungen, deren Matadore Merz und Klingbeil sich mittlerweile sogar duzen. Eine Klassenkampf-Barriere also schon mal weniger zwischen dem Black Rock-Epigonen und dem vermeintlichen Sozi. Da können sich auch Linke und Grüne eine Teilhabe vorstellen.

Der etwas verspätete Künstler-Sohn

Aus Opas unordentlichem Leben (1)

Auch eine Binsenweisheit kann man ruhig mal wiederholen: Jeder Mensch ist einzigartig, mithin etwas Besonderes. Darin sind sich inzwischen Psychologen, Genetiker und Anthropologen einig. Folglich sind ja auch im Grunde alle möglichen Verallgemeinerungen falsch. So etwa auch die: Vor allem junge Mütter sind überzeugt, ihr Kind sei ein besonderes.

Ein besonderes Kind wäre es schon, wenn es sozusagen eine Eigenschaft besitze, die – objektiv – nur ein Siebtel der Menschheit haben könne: Wenn es nämlich an einem Sonntag Geburtstag hat. So ein Sonntagkind habe voraussichtlich im Leben viel Glück und unbewusste Vorteile gegenüber den anderen sechs Siebteln.

Mit Bedauern in der Stimme aber leicht schmunzelnd erzählte mir meine Mutter eines Tages, als sie schon keine Schauspielerin mehr und ich noch ein Jüngling war, leider sei ich wegen zehn Minuten Verspätung kein Sonntagskind mehr geworden. Ob sich vielleicht dahinter ein Mythos verbirgt, ein letztlich negativer gar, der sich zur Erklärung so mancher seltsamen oder auch merkwürdigen Erlebnisse eignet? Denn nun bin ich also mein ganzes Leben lang ein Montagskind. Quasi wie ein Montagsauto. Die waren mal eine Zeit lang berüchtigt, hatten angeblich ständig irgendwelche Macken, weil die Arbeiter im Werk noch nicht richtig ausgeschlafen waren, liefen aber sonst sehr zuverlässig.

Im Nachhinein habe ich mal nachgesehen: https://de.wikipedia.org/wiki/Sonntagskind

Ein Donald kommt selten allein

Mehrere Generationen sind mit Donald Duck und Onkel Dagobert groß geworden. Voriges Jahr, also 2024, ist die Comic-Figuren-Familie Duck aus dem Hause Disney 90 Jahre alt geworden. Gilt Donald Duck noch immer als der liebenswürdige Tolpatsch, so der Titel des Youtube-Videos auf Disney Channel, und Dagobert als sein geldgieriger geiziger Onkel, der schon mal beim Geld-schaufeln im Keller ins Schwitzen kommt und sich als reichsten Millionär der Welt vorstellt.

Es wäre kaum ein Wunder, wenn jemandem beim Betrachten der Feierlichkeiten anlässlich der Amtsübernahme des jetzigen amerikanischen Präsidenten, als sich die reichsten Männer der Welt um ihn scharten, nicht der Verdacht entstanden wäre, er habe das Comic-Image des Donald durch das des Dagobert überwinden wollen.

Auch ein amerikanischer Traum: Erfolgreicher Unternehmer wird sogar der mächtigste Mann der Welt. Vielen kommt nach seinen ersten Amtshandlungen anscheinend dazu das Sprichwort in den Sinn: „Ein Unglück kommt selten allein.“

Wie Klassenkampf wirkt

In einer Kolumne über die von Georg Picht 1964 ausgerufene deutsche „Bildungskatastrophe“ erinnerte Norbert Grube am 13. Dezember 2024 daran, wie die von Picht geforderte Steigerung der Abiturientenquote in Westdeutschland bundesweit eine wirkmächtige Neuordnung des Schul- und Universitätssystems zur Folge hatte.1

Eine vergleichbare Aufbruchstimmung der politischen Akteure wäre heutzutage dringend nötig, ist aber leider kaum zu erwarten, notiert Gudrun Giese im Folgenden:

Abgeschrieben aus junge Welt vom 17.01.2024 „Millionen abgehängt“

Ein Viertel der 18- bis 24jährigen in Deutschland galt 2023 als armutsgefährdet – eine gruselige Quote, die vermutlich im vergangenen Jahr weiter gestiegen ist. Wenn 25 Prozent der Jugendlichen zunehmend abgehängt werden, dann kann eine Gesellschaft eigentlich einpacken. Denn der Nachwuchs soll doch lernen, sich bilden, hoffnungsvoll in die Zukunft sehen und sich darauf vorbereiten, mehr Verantwortung zu übernehmen. Doch in diesem Land leisten sich Politik, Wirtschaft und Allgemeinheit die Verarmung von Millionen Menschen. So kommen viele der armutsgefährdeten Jugendlichen aus bereits finanziell schlecht gestellten Familien. Rechtfertigt das, sie in ein Kontinuum aus wenig Geld – schlechter Bildungsteilhabe – miesen Chancen am Arbeitsmarkt zu entlassen? Natürlich nicht! Doch hierzulande setzen die Unternehmen lieber aufs Lamentieren, dass sie zu wenige Fachkräfte hätten und die Bewerber um Ausbildungsstellen zu wenige Fähigkeiten mitbrächten. Eigenverantwortung für gute Qualifizierung? Fehlanzeige.

Die Regierungen der Länder und des Bundes verstehen ebenso wenig, wie wichtig die Förderung und Betreuung aller Kinder ist. Das Ampelprojekt einer »Kindergrundsicherung« ist krachend gescheitert. Das jüngst verabschiedete »Steuerpaket« gibt den Reichen den lohnenden Kinderfreibetrag, während die Habenichtse mit ein paar Euro mehr Kindergeld abgespeist werden. Und es wird noch viel schlimmer: So hat der Berliner Senat bei seinem Drei-Milliarden-Sparpaket gerade auch im Bildungsbereich und bei Projekten der sozialen Teilhabe nach Kräften gestrichen. Die Folgen werden erst in einigen Jahren zu besichtigen sein, wenn die derzeitige Koalition aus CDU und SPD längst zur Geschichte geworden sein wird.

Dabei gibt es Vorschläge, Kindern und Jugendlichen bessere Perspektiven zu bieten. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) hat in ihrem »Monitor Jugendarmut« Ideen zusammengestellt, wobei die armutsfeste Kinder- und Jugendgrundsicherung einen zentralen Stellenwert einnimmt. Die muss allerdings realitätsnah berechnet werden, da angesichts weiter steigender Mieten, hoher Lebensmittel- und Mobilitätskosten eine Grundsicherung nicht politisch fixiert werden kann, sondern einen geeigneten Anpassungsmechanismus benötigt, was analog auch für das Bürgergeld und den Mindestlohn gelten sollte. Doch mit der zu erwartenden CDU-geführten Bundesregierung nach den vorgezogenen Wahlen im Februar wird in diesen Bereichen vermutlich noch viel mehr abgebaut. Die Armutsspirale könnte sich schon bald erheblich schneller drehen.

1 Siehe: Norbert Grube: 60 Jahre „Bildungskatastrophe“ – Georg Picht, der „Notstand“ und die Vision einer unabhängigen Exekutive, in: bildungsgeschichte.de, Berlin 2024. DOI: https://doi.org/10.25658/kyx2-rk08