Was heißt denn hier „Ernstfall“?

Über Leserbriefschreiben in Zeiten der schweigsamen Mehrheit

Überraschenderweise hat die – sich als Heimatzeitung verstehende – Waldeckische Landeszeitung (WLZ) meinen nachstehenden Leserbrief auch mit der von mir gewählten Überschrift abgedruckt. Warum war ich überrascht?

Zum einen hatte ich mit kritischen Beiträgen insofern schon einige Misserfolge erlebt. Zum anderen war der Anlass diesmal ein lokalpolitisches Ereignis wegen einer bundes- und EU-politischen Entwicklung, die bis dahin allgemein beschwiegen worden war: Die Bundeswehr rekrutiert nach einem bundesweiten Operationsplan ungediente, sprich soldatisch unausgebildete Freiwillige für Heimatschutztruppen, und die noch frische Frankenberger Bürgermeisterin mitsamt Magistrat will als Arbeitgeber dafür Interessenten unter ihren Beschäftigten vom Dienst freistellen. Zwei dazugehörende Artikel auf der ersten und zweiten Seite vom 21. 11. 24 waren in nahezu unterkühlten Formulierungen gehalten.

Es galt also, sowohl Kritik am bundespolitischen Projekt als auch an der jounalistischen Darstellung des aktuellen Ereignisses in möglichst knapper Form unterzubringen, um formal begründbare Kürzungen zu vermeiden. Darum zu Beginn ein Lob für den Zeitungsmenschen:

Die sicherheitspolitische Lage in Europa hat sich spätestens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine erheblich geändert.“ Welch geniale journalistische Formulierung auf der Titelseite für die Einleitung eines Berichts von einer in die Öffentlichkeit geratenen neuartigen Partnerschaft zwischen einer Stadtverwaltung und der Bundeswehr. Nichts falsch gemacht – das Adverb spätestens schließt sogar eine relevante Vorgeschichte ein. Konkret wird das Aufgabenfeld der Heimatschutztruppe der Ungedienten sogar im Info-Kasten darunter aufgezählt.

Details zum bislang verheimlichten Operationsplan Deutschland sind jüngst durchgesickert. Laut FAZ „schult die Bundeswehr seit Kurzem Unternehmen für den Verteidigungsfall“. Wie erwartet geht es um den Fall eines Angriffs durch Russland. Hinter den Kulissen stehen die Zeichen offensichtlich auf die bereits beschworene „Kriegstüchtigkeit“.

Nun kann also auch die Heimatzeitung mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mithalten. Auf der zweiten Seite wird in nüchternen Formulierungen der Zweck und die Bedeutung des Heimatschutzregiments im Ernstfall – offenbar Krieg mit Russland. Das alles wurde schon 1968 durch die Notstandsgesetze vorgesehen.

Über das schier Ungeheuerliche berichten Journalisten nüchtern, emotionslos, als ginge es um eine trockene Verwaltungsentscheidung, die keinen Bürger wirklich tangiert. Wo dringend kommentierend Kritik ertönen sollte, wird durch die Zurückhaltung die Komplizenschaft mit der Grundrichtung der Kriegspolitik sichtbar.

Wenn Politik die Parole ausgibt: „Wir müssen kriegstüchtig werden!“, ist es Aufgabe von Journalisten, die den Friedensauftrag des Grundgesetzes verstanden haben, laut zu widersprechen. Politik für den Frieden will das Volk. Das wäre der dem Volk dienende Ernstfall.

EU-Ziel: Kriegstüchtig werden um jeden Preis

So wird die Ukraine ein Teil der EU.

Kohärente kolonial-kapitalistische EU-Politik kauft ukrainische „Verteidigungsindustrie“.

Seit Donald Trumps überwältigendem Wahlsieg am 5. 11. 2024 gilt nicht nur für die USA eine neue Zeitrechnung. Hatte er doch in seiner ersten Amtszeit als Präsident sowie im Wahlkampf angekündigt, er werde dafür sorgen, dass die Europäer wegen der Kosten selber für ihre Verteidigung sorgen und künftig auf den amerikanischen „Schutzschirm“ durch Truppen, Raketen und Atomwaffen verzichten müssen. Wohlgemerkt: Gegen die angebliche Bedrohung durch Russland. Denn Amerikas wirklicher Gegner ist inzwischen eindeutig China.

Insofern hat sich die EU mittlerweile in mehreren Schritten militärisch umorientiert. Notfalls könnte nämlich der Fall eintreten, dass die Ukraine in ihrem Kampf gegen Russland nur noch von den Staaten der Europäischen Union – insbesondere durch Deutschland – finanziell und militärisch unterstützt wird.

Als die EU-Kommission am 5. März 2024 die „Erste europäische Industriestrategie für den Verteidigungsbereich auf EU-Ebene“ (EDIS) präsentiert hat, war davon in den deutschen öffentlich-rechtlichen und anderen Leitmedien kaum etwas zu hören bzw. zu lesen. Immerhin steht ja darin:

Die Mitgliedstaaten sind dazu aufgerufen,

  • bis 2030 mindestens 40 % der Verteidigungsgüter auf kooperative Weise zu beschaffen;
  • dafür zu sorgen, dass der EU-interne Handel mit Verteidigungsgütern bis 2030 wertmäßig mindestens 35 % des EU-Verteidigungsmarkts ausmacht;
  • sich dem Ziel, bis 2030 mindestens 50 % ihres Beschaffungshaushalts im Verteidigungsbereich innerhalb der EU auszugeben und diesen Anteil bis 2035 auf 60 % zu steigern, ständig anzunähern.“

EDIS ist eine gemeinsame Mitteilung der Kommission und des Hohen Vertreters, die eine Vision für die europäische Verteidigungsindustriepolitik bis 2035 vorlegt. (…)“ ist auf der offiziellen Website der Union zu lesen.

Interessant ist in diesem Fall auch folgende Erläuterung: „Der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (Hoher Vertreter) ist dafür zuständig, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sowie die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der Europäischen Union (EU) zu koordinieren und durchzuführen. Der Hohe Vertreter ist zugleich einer der Vizepräsidenten der Europäischen Kommission. In dieser Eigenschaft hat er sicherzustellen, dass das auswärtige Handeln der EU insgesamt kohärent ist.

Am 24. Oktober 2024 hat die EU-Kommission die „Regulierung 2024/2773“ angenommen. Demnach soll die Ukraine von der EU einen Kredit in Höhe von 35 Milliarden Euro bekommen, der aus den Einnahmen der eingefrorenen russischen Vermögenswerte zurückgezahlt werden soll. Einerseits soll das Geld erst dann fließen, wenn die Ukraine allen Bedingungen der EU zugestimmt hat. Andererseits ist im Endeffekt das Geld zwar angeblich für den Wiederaufbau (nach Kriegsende?) bestimmt, aber im Artikel 12 der Regulierung steht:

Grundsatzvereinbarung

  1. Die Kommission vereinbart mit der Ukraine politische Auflagen, an die das MFA-Darlehen geknüpft wird. Diese politischen Auflagen werden in einer Grundsatzvereinbarung festgelegt.
  2. Die politischen Auflagen in der Grundsatzvereinbarung müssen mit den im Anhang des Durchführungsbeschlusses (EU) 2024/1447 aufgeführten qualitativen und quantitativen Schritten und etwaigen daran vorgenommenen Änderungen in Einklang stehen. Die politischen Auflagen in der Grundsatzvereinbarung sollten außerdem die Zusage enthalten, bei der Belebung, dem Wiederaufbau und der Modernisierung der Verteidigungsindustrie[Hervorhebung vom Berichter] der Ukraine die Zusammenarbeit mit der Union entsprechend den Zielen der Unionsprogramme für die Erholung, den Wiederaufbau und die Modernisierung der technologischen und industriellen Basis der Verteidigung der Ukraine und anderer einschlägiger Unionsprogramme zu fördern.“

Die wichtigste Bedingung für die Vergabe dieses Kredits besteht also darin, dass die EU nach der Beendigung des Konflikts mit Russland das Recht erhält, die Rüstungsindustrie der Ukraine wieder aufzubauen und über sie die Kontrolle zu behalten.

Zur Begründung für diese exorbitanten Kraftanstrengungen wird in Orwellscher Manier aus Rüstungs- immerzu Verteidigungsindustrie. Und in dem EDIS-Dokument ist von „Russlands grundlosem Kampf gegen die Ukraine“ als Erklärung die Rede, womit kurzerhand wichtige Fakten der Vorgeschichte propagandistisch unterschlagen werden, wie etwa der von den USA initiierte Maidan-Putsch 2014, die 8-jährige Bombardierung der russischsprachigen Ost-Ukraine ebenso wie die unter eifriger Mitwirkung der Regierung Merkel vorgetäuschten Friedensverträge Minsk I und Minsk II.

Nicht zu vergessen die – entgegen den Zusicherungen im Zuge der Auflösung der UdSSR und der Staaten des Warschauer Vertrags – geplante Erweiterung der NATO auf ukrainisches Gebiet, also direkt in Reichweite Russlands.

Putin stellte am 7. November in seiner Rede auf der diesjährigen VALDAI Konferenz fest, dass das westliche Streben nach Beibehaltung einer Weltordnung auf Grundlage der Konkurrenz einzelner Staaten und von Staatenbünden gegeneinander im Widerspruch zu den aktuell erforderlichen und auch möglichen friedlich-kooperativen internationalen Beziehungen stehe. Solche Beziehungen seien zum Beispiel schon früher im Rahmen der OSZE gepflegt worden und würden nun von den Ländern der BRICS Organisation praktiziert.

Die Aufrechterhaltung eines militärischen Bündnisses wie der NATO ergebe laut Putin überhaupt nur unter der Prämisse der Beibehaltung einer auf Konkurrenz beruhenden Beziehung von Staaten einen Sinn. Allerdings sei diese Praxis mit immer höher werdenden Kosten verbunden, die von den Bevölkerungen der betroffenen Länder getragen werden müssen.

Und gerade diese große Belastung der Bevölkerung ist nach Beobachtung des russischen Präsidenten den Protagonisten der Konkurrenz-Außenpolitik und des Krieges völlig egal. Mit Vernunft könne das Vorgehen des Westens also nichts zu tun haben, ist die Schlussfolgerung Putins in seiner Rede, die hier nachgelesen kann:

Bombardierungen: „Drei weitere Luftangriffe“

Diese nüchterne Formulierung kam heute in ARD-Radionachrichten über den Krieg Israels gegen die Hisbolla im Süd-Libanon vor.

Was wird denn dabei mittels Sprache transportiert? Was sich anhört wie eine tägliche Banalität der Kriegsberichterstattung handelt von Tötungen, Morden an viel zu oft unschuldigen Zivilisten, mithin nach der Haager Kriegsrechts-Ordnung und der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 und ist deswegen ein Straftatbestand im Völkerstrafrecht.

Die Verschleierung dieser Tatsache durch Formulierungstricks der Nachrichtenredakteure dient allein der Sedierung, also der Beruhigung der Zuhörer sowie Zuschauer. Weil dergleichen ja von dpa praktischerweise oft genug vorformuliert wird, findet sie natürlich auch in weiteren Nachrichtensendungen der öffentlich-Rechtlichen statt. Sind die Nachrichtenredakteure nicht für ihre Wortwahl verantwortlich? Haben sie kein Geschichtsbewusstsein?

Als einer, der nicht nur in München 1944, sondern auch 1945 in Dresden unglücklicherweise solche Luftangriffe nicht nur erlebt sondern auch überlebt hat, werfe ich den für die Nachrichten-Texte verantwortlichen Redakteuren absichtliche Verharmlosung, ja offenbar auch Verdummung der Hörer und Zuschauer vor. Denn das Grauen der Sterbenden und der schrecklichen Todesängste, auch die darauffolgende Heimatlosigkeit wäre eben sonst in der BRD-Komfortzone unerträglich. Und könnte zu Widerstandshandlungen gegen die Unterstützung Israels führen.

Anmerkung: Im Blick des historischen Fotos vom Dresdener Rathaus auf die zerstörte Altstadt etwa vier Wochen nach der Bombardierung liegt auch eine Ruine, aus der ich als knapp Vierjähriger gerettet werden konnte.

Wo der Daumen links ist?

Abgeschrieben aus: junge Welt, Ausgabe vom 06.09.2024, Seite 12 / Thema

Die Jugend und die AfD – Wo der Daumen links ist?

Wie tickt die Jugend? Über junge Wähler, Rechtsruck und den Extremismus der Mitte

Von Michael Klundt

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Da ist einiges durcheinandergeraten. Vorgeblich friedensliebende junge Faschisten (Wahlkampfabschluss der Thüringer AfD auf dem Erfurter Domplatz, 31.8.2024) Foto: Po-Ming Cheung

Michael Klundt ist Professor für Kinderpolitik im Fachbereich Angewandte Humanwissenschaften der Hochschule Magdeburg-Stendal.

Es ist bitter zu erleben, dass viele (junge) Menschen, die berechtigterweise – nicht (nur) wegen falscher Kommunikation der Regierenden – mit der Politik der Bundesregierung und deren Auswirkungen unzufrieden sind, sich ausgerechnet eine rassistische Partei als »Alternative für Deutschland« aussuchen; eine Partei, die Zeit ihres Bestehens immer gegen einen armutsfesten Mindestlohn, gegen eine Vermögensteuer, gegen eine Bürgerversicherung, für Aufrüstung, für die Wehrpflicht, für den Gazakrieg und mehr Geld für das Militär eintritt; eine Partei, die den sozialen Rechtsstaat noch radikaler zerstören will, als das die übrigen Parteien bereits vorangetrieben haben.

Was ist links?

Wer indes wissen will, wie »rechts« die deutsche Jugend ist, muss sich zunächst seines eigenen Koordinatensystems vergewissern. Denn für jung und alt ist da seit einiger Zeit einiges ganz schön unübersichtlich geworden. Was bedeutet es zum Beispiel für sich als links verstehende Menschen, wenn sie hören, dass ein renommierter marxistischer Gelehrter inzwischen von sich sagt: »Ich bin nicht links, ich bin Kommunist.« In der Wochenzeitung Freitag vom 4. März 2022 schrieb der Politikwissenschaftler Georg Fülberth kurz nach dem Beginn des Ukraine-Krieges Ende Februar 2022: »Am 25. Februar fand eine Sondersitzung des Bundestags statt. Die Linkspartei lehnt Waffenexporte in die Ukraine und die Erhöhung der Rüstungsausgaben ab, nicht aber Sanktionen. Amira Mohamed Ali, die Kovorsitzende der Linksfraktion, machte Vorschläge für deren Feinjustierung. Die jahrzehntelange NATO-Osterweiterung kritisierte sie nicht. Dies überließ sie der AfD-Abgeordneten Alice Weidel und auch anderen Rednern von deren Fraktion, die in diesem Punkt – zugleich kontaminiert durch Forderungen nach Hochrüstung und Rückkehr zur Atomkraft – die Oppositionsführung übernahm, anstelle der Linkspartei.«¹

Fangen wir also mit der Ordnung unserer Begriffe an.² Was ist links? »Links« soll sein der Einsatz für soziale Gleichheit und Gerechtigkeit, für Demokratisierung und für Abrüstung sowie friedliche Koexistenz im Geiste internationaler Solidarität.

Was ist rechts?

»Rechts« soll sein der Einsatz oder die Akzeptanz für soziale Ungleichheit, für autoritäre Bevormundung der Mehrheit der Bevölkerung und für militärische Aufrüstung sowie national-egoistische Herrschafts- und Machtpolitik im Geiste internationaler Konkurrenz und des Kampfes gegen andere Staaten.

Was davon zeichnet die Ampelregierung aus und was die Oppositionsparteien? Wie viel davon wird von wissenschaftlichen Studien operationalisiert, erfragt und von einflussreichen Medien berichtet? Um dem nachzugehen, wird im folgenden die Thematisierung diverser Jugendstudien in Deutschland 2024³ in verschiedenen Leitmedien betrachtet. Doch zunächst geht es um die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen je nach Altersgruppen.

Die AfD gewinnt

Am 1. September 2024 sind alle vorherigen Befürchtungen eingetreten. Die AfD hat bei jung und alt enorm hinzugewonnen, so dass von einem regelrechten Rechtsruck die Rede ist. Die Stimmen für die AfD bei den Jungwählern sind zum Teil nicht (wesentlich) höher als bei den anderen Altersgruppen. So hatte laut Wählernachbefragung durch Infratest Dimap die AfD in Sachsen insgesamt 31 Prozent erhalten (plus drei im Vergleich zu 2019); die 18- bis 24jährigen wählten die AfD ebenfalls zu 31 Prozent (plus elf). In Thüringen erhielt die AfD insgesamt 33 Prozent (plus zehn), während 18- bis 24jährige sie zu 38 Prozent wählten (plus 15). Der Anstieg im Verhältnis zu den letzten Landtagswahlen 2019 ist also bei den Jungwählern deutlich steiler als bei den anderen Altersgruppen. Allerdings haben in Sachsen einige ältere Wählergruppen noch höhere AfD-Werte erzielt, und in Thüringen lagen die meisten anderen Altersgruppen mit 36 bis 37 Prozent eher auf der Höhe der Jungwähler. Die einzige Altersgruppe, die deutlich weniger AfD gewählt hat, waren in beiden Bundesländern die über 70jährigen (Sachsen: 24 Prozent, plus drei) und in Thüringen 19 Prozent (plus sechs).⁴

Etwas leiser als im Frühjahr und nach den Wahlen zum EU-Parlament im Juni 2024 sind nun vor diesem Hintergrund die Stimmen, die vor allem die jugendlichen Rechtswähler betonen und gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge ausblenden.⁵ Solcherart wurde und wird dann häufig auch »die Jugend ist rechts« oder »die Jugend wählt rechts« behauptet, obwohl zumindest eine große Mehrheit der Jungwähler gerade nicht AfD gewählt hat (zumindest deutlich mehr als 60 Prozent). Diese Form der Pauschalisierung erfüllt offenbar eine gewisse gesellschaftspolitische Entlastungsfunktion. Die Pauschalisierer müssen weniger über Erwachsene, Eltern und eigene journalistische, politische, wissenschaftliche und pädagogische Verantwortung für diese Entwicklung nachdenken. Es reicht, alle Probleme auf »die Jugend« zu projizieren. Dass in der Augsburger »Jugendwahlstudie 2024« 65 Prozent der ostdeutschen und 74 Prozent der westdeutschen Jugendlichen von Angst vor der AfD berichteten, dass in der Jugendstudie vom Frühjahr »Jugend in Deutschland 2024« unter anderem 44 Prozent der Befragten große Sorgen wegen des Aufstiegs rechtsextremer Parteien äußerten,⁶ wird dadurch einfach ausgeblendet. Die pauschale Aussage »die Jugend wählt rechts« über eine ganze Generation unterschlägt schlicht diesen Sachverhalt und ist undifferenziert.

Richtig ist: Ein wachsender Teil der Jugend wählt rechts. Deshalb ist es aber auch für die politische Kommunikation kontraproduktiv, wenn zum Beispiel die 44 Prozent der Befragten, die große Sorgen wegen des »Erstarken rechtsextremer Parteien« äußern, nicht explizit gewürdigt und unterstützt, sondern mit den Wählern der AfD in einen Topf als »die rechte Jugend« geworfen werden. Diesbezüglich wäre etwas mehr Gründlichkeit und Differenzierung nötig. Statt dessen wird in manchen Studien auch noch alles Mögliche ebenfalls als »rechts« oder »rechtsoffen« diffamiert. Aussagen wie, dass »die da oben« andere Interessen haben als »wir hier unten« und »einfache Menschen« der Regierung egal seien, werden dann oft nicht als vielleicht etwas undifferenzierter Klassenstandpunkt erörtert, sondern meist sofort als Teil von »Populismus« und »Verschwörungserzählungen« in die rechte Ecke gestellt. Das sollte skeptisch machen. Zumal viele alarmistische Medien, die solche Aussagen tätigen, oft kaum Interesse zeigen für die realen Lebenslagen, Lebenswelten, Empfindungen und Ansichten junger Menschen.

Damit werden viele Medien, Politikerinnen und Politiker und auch manche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst zum Teil des Problems. Das gilt es genauer zu untersuchen, da die Vermutung besteht, dass aus genau diesen Verzerrungen heraus und den damit verbundenen Kommunikationsstörungen der Aufstieg der AfD mitzuerklären ist. Außerdem lässt sich die Vermutung äußern, dass das rechte gesellschaftspolitische Projekt zur Militarisierung Deutschlands und zur Vorbereitung auf Krieg (zum Beispiel gegen Russland) durch Aufrüstung, Kriegspropaganda (auch bei Kindern), Waffenexporte usw. hin zur »Kriegstüchtigkeit« von einer sehr großen Koalition aus SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und AfD am besten betrieben werden kann, wenn es auch noch im Namen eines angeblichen »Kampfes gegen rechts« durchgeführt wird. Auch dies sollte im Auge behalten werden.

Was für ein Rechtsruck?

Im Jahre 2017 fand sich in der Reihe »Wiso direkt« der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) ein beeindruckender Artikel über »Angst im Sozialstaat« von Sigrid Betzelt und Ingo Bode.⁷ Die Autoren begriffen die verschiedenen neoliberalen Sozialstaatsreformen im Rahmen der »Agenda 2010« als ein gigantisches Verarmungs-, Entrechtungs- und Disziplinierungsprogramm für die große Masse der abhängig Beschäftigten (dass es – in Verbindung mit Steuerentlastungen für Wohlhabende – auch ein Bereicherungsprogramm für die herrschende Klasse war und ist, war ihnen entgangen). Alle Lohnabhängigen »wussten« von nun an, dass sie nach einem Jahr Arbeitslosigkeit sofort im weitgehend rechtlosen Fürsorgesystem von Sozialhilfe/Hartz IV landeten, ohne Achtung für ihre jahrelangen Einzahlungen in die Arbeitslosenversicherung und ohne Beachtung ihrer Qualifikation und in dem Wissen, dass ihr Lebensstandard spätestens im Alter durch die Rentenkürzungen und -privatisierungen seit der »Riester-Rente« systematisch abgesenkt und verunsichert wurde. Leiharbeiter vor Augen, die für die Hälfte des eigenen Lohns arbeiten, überlegte sich jeder Beschäftigte zweimal, ob er mit Betriebsrat, Gewerkschaft und Streikaufrufen mitging oder lieber brav »das Maul hält«. Minderheitenfeindliche Tendenzen und der Aufstieg rechtspopulistischer Kräfte verweisen aus Sicht von Betzelt und Bode auf eine damit verbundene latente soziale Krise. »Wir argumentieren, dass diese maßgeblich mit der Liberalisierung des deutschen Sozialmodells zusammenhängt. Diese provoziert Angstzustände, welche Anpassungsbereitschaften erzeugen, aber zugleich die soziale Integration strapazieren.«

Die damit verbundene Resignation ist offenbar spätestens nach einigen Jahren umgeschlagen in Ressentiments gegen Sündenböcke (von den seit einer Generation CDU-regierungsamtlich tolerierten neonazistischen, »national befreiten Zonen« in Sachsen und anderswo ganz zu schweigen). Und genau auf dieser Welle surft nun die AfD. Die FES-Autoren forderten dringend solidarische Sozialstaatsreformen, um unsolidarische und sozialdarwinistische Tendenzen zurückzudrängen. Wer sich heute fragt, warum die SPD in den ostdeutschen Bundesländern mit der Fünfprozenthürde kämpft, sollte sich diesen Aufsatz von vor sieben Jahren noch einmal zu Gemüte führen.

Erstaunlicherweise nahmen viele Mainstreammedien die Augsburger »Jugendwahlstudie 2024« (eine von Anfang Juli bis Mitte August 2024 erfolgte Befragung von tausend 16- bis 25jährigen) noch kurz vor den Wahlen in Thüringen und Sachsen mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis, fühlten sich aber zu keiner Zeit selbst angesprochen. So wird in der Regel mit Erstaunen referiert, dass viele junge Menschen sich als »links« verstehen, aber zugleich »rechte« Positionen vertreten oder gar »rechts« wählen würden.⁸ Dass viele Medien, Politiker, Wissenschaftler sich ebenfalls allzu oft als »links« oder »liberal« verstehen, aber Parteien präferieren, die rechtsautoritäre Politik betreiben (Aufrüstung, Kriegstüchtigkeitspropaganda, Waffenexporte, Sozialabbau usw.), kommt den über junge Menschen erstaunten Mainstreammedien nicht in den Sinn. Sie skandalisieren auch in der Regel nie Parteien oder deren Funktionäre, die grundgesetzwidrig den Sozialstaat abbauen wollen, die Vermögensteuer ablehnen, Aufrüstung, Waffenexporte und Kriegspropaganda betreiben, »Slava Ukraini« rufen oder mit Verherrlichern von Holocausthelfern wie Stepan Bandera zusammenarbeiten. Das ist alles o.k. für die selbstgerechte »Mitte«.

Derweil wird immer sichtbarer, dass von Regierungsseite jegliche Unterversorgung des Bildungswesens, der Flüchtlingsbetreuung, des Bürgergeldes oder der Kindergrundsicherung in Kauf genommen wird, aber der Rüstungsetat unantastbar ist. Auch die Waffenlieferungen an die Ukraine stehen nicht zur Disposition. Das ist rechts, das ist lebensgefährliche, rechte Politik. Nur wenige Menschen haben in den letzten Jahren dagegen demonstriert. Praktisch keine Mainstreammedien haben Demoaufrufe dazu verbreitet. Kaum Wissenschaftler haben in ihren (Jugend-)Studien überhaupt Parameter und Items für sozialstaatsfeindliche, die im Grundgesetz stehende Vermögensteuer ablehnende und das Friedensgebot des Grundgesetzes verletzende, also verfassungsfeindliche »rechte«, Propaganda und Politik der Militarisierung und des Sozialabbaus eingebaut.

Für die repräsentative Studie »Jugend in Deutschland 2024« wurden im Januar und Februar 2024 etwa 2.000 junge Leute von 14 bis 29 Jahren befragt. Sie gaben Antworten zu ihrer Parteipräferenz, ihren größten Sorgen, der Zufriedenheit mit ihrer persönlichen Lage (Finanzen, Gesundheit, berufliche Chancen) und der gesellschaftlichen Lage (Wirtschaft, Zusammenhalt, politische Verhältnisse, Lebensqualität in Deutschland). Als Ergebnis wurde festgestellt, dass die junge Generation im Vergleich zu den Befragungen der Vorjahre immer unzufriedener geworden ist, besonders hinsichtlich ihrer gesellschaftlich-wirtschaftlichen Lage.

Philipp Wundersee vom WDR fasste für tagesschau.de am 23. April 2024 die wichtigsten Sorgen der befragten jungen Menschen zusammen: »Die großen Sorgen der jungen Menschen in Deutschland aufgrund von Inflation (65 Prozent), teurem Wohnraum (54 Prozent) und Altersarmut (48 Prozent), aber auch die Spaltung der Gesellschaft (49 Prozent) oder die Zunahme von Flüchtlingsströmen (41 Prozent) führen zu hoher Unzufriedenheit der jungen Generation mit ihrer Lebenssituation und den politischen Verhältnissen.« Interessanterweise lässt der Autor aber verschiedene wichtige Sorgenverursacher außen vor, genauso wie deren Entwicklung in den letzten zwei Jahren: Da wären vor allem der »Krieg in Europa und in Nahost« mit immerhin 60 Prozent (2022: 68 Prozent; 2023: 59 Prozent), der Klimawandel mit 49 Prozent (2022: 55 Prozent, 2023: 52 Prozent), die Sorgen hinsichtlich der »Wirtschaftskrise« bei 48 Prozent der Jugendlichen (2022: 39 Prozent; 2023: 45 Prozent) oder auch das »Erstarken rechtsextremer Parteien« mit 44 Prozent unter den Befragten (2022: 35 Prozent; 2023: 32 Prozent). Schaut man diese Angaben unbefangen an, so kann man unmöglich zum Ergebnis kommen, dass »die Jugend rechts« eingestellt sei. Was immer auch für Interpretationen möglich wären, scheint doch zumindest eine ziemliche Spaltung innerhalb der jungen Generation sichtbar zu werden.

Gestresst und unzufrieden

Hinsichtlich des individuellen Wohlbefindens und psychischer Belastungen der befragten Jugendlichen zwischen 14 und 29 Jahren verkündet tagesschau.de einen besorgniserregenden Absturz: »Im Vergleich zu den früheren Studien scheint die Stimmung derzeit zu kippen. Das zeigt sich an einem hohen Ausmaß von psychischen Belastungen wie Stress, den 51 Prozent der Befragten angeben. Ähnlich zur Erschöpfung (36 Prozent) und der Hilflosigkeit (17 Prozent), die in den vergangenen drei Jahren trotz des Abflauens der Coronapandemie weiter angestiegen sind. Es geben elf Prozent der Befragten an, aktuell wegen psychischer Störungen in Behandlung zu sein.« Dies wird noch deutlicher, zieht man die beiden Vorjahreswerte hinzu: Demnach haben sich von 2022 über 2023 bis 2024 Stress (45, 46 und 51 Prozent), Erschöpfung (32, 35 und 36 Prozent), Selbstzweifel (25, 33 und 33 Prozent), Gereiztheit (22, 24 und 25 Prozent), Hilflosigkeit (13, 14 und 17 Prozent) und Suizidgedanken (7, 6 und 8 Prozent) deutlich erhöht, während »keine der genannten Belastungen« lediglich von 22 Prozent (2022: 23 Prozent, 2023: 19 Prozent) genannt wurden.

Kommen wir nun zu dem Aspekt, welcher offenbar das einzige öffentliche Interesse an dieser Studie und der jungen Generation motiviert, die Parteienpräferenz. Tagesschau.de vom 23. April 2024: »Die AfD stehe laut ihrer Befragung mit 22 Prozent aktuell an der Spitze der Wählergunst bei den unter 30jährigen (2022: 9 Prozent). AfD und CDU/CSU hätten stark in der Gunst zugelegt, die Regierungsparteien enorm verloren. Demnach würden sich 20 Prozent für die CDU entscheiden (2022: 16 Prozent). Alle weiteren Parteien verlieren bei der jungen Generation Stimmen: Die Grünen liegen in der Gunst der jungen Wähler zur Zeit bei 18 Prozent (2022: 27 Prozent), die SPD bei 12 Prozent (2022: 14 Prozent), die FDP bei acht Prozent (2022: 19 Prozent). Ein Viertel bezeichnete sich als unentschlossen.«

Selbstgerechte Mitte

Auch das ZDF kommt zu einer ähnlichen Bilanz: Unter der Überschrift »Deutlicher Rechtsruck« vermittelt zdf.de vom 23. April 2024 folgendes Studienergebnis: »Es sei ein deutlicher Rechtsruck in der jungen Bevölkerung zu sehen, so Autor Klaus Hurrelmann. Demnach sinken die Zustimmungswerte für die Grünen, die FDP und die SPD deutlich. Die Union (CDU und CSU) verbesserte sich der Umfrage zufolge bei jungen Menschen von 16 auf 20 Prozent, das neue Bündnis Sahra Wagenknecht kommt auf fünf Prozent. Die Zahl derjenigen, die auf die Frage, wen sie wählen würden, mit ›Ich weiß es nicht‹ antworteten, stieg deutlich von 19 Prozent vor zwei Jahren auf heute 25 Prozent.« Trotz der sinkenden Ampelwerte und steigenden Unions- und AfD-Wahlabsichten sollte selbst hierbei nicht vorschnell »die Jugend« als »rechts« bezeichnet werden, wie dies in vielen Beiträgen nach Veröffentlichung der Studie geschehen ist. In Verbindung mit den ermittelten Sorgen vieler junger Menschen ist zum Beispiel die gesunkene Zustimmung zur Ampel keineswegs grundsätzlich »rechts«. Genauso wenig gilt dies zwangsläufig für den Aufstieg des BSW oder die steigenden Zahlen bei den Unentschlossenen.

Dass die vorherrschende veröffentlichte Meinung in Politik, Medien und Wissenschaft nicht unbedingt mit der öffentlichen Meinung übereinstimmt, wurde schließlich sichtbar anhand der Wahlen zum EU-Parlament im Juni 2024. Was war herausgekommen aus all den Studien und Prognosen? Zunächst einmal muss die Vergleichbarkeit vieler Untersuchungen befragt werden, da sich die einen auf 12- bis 18jährige oder 16- bis 24jährige beziehen, die anderen auf 18- bis 24jährige, wieder andere schauen auf 14- oder 16- bis 29jährige usw. Auch im Zeitverlauf muss berücksichtigt werden, dass die Gruppe der unter 25jährigen bei der Wahl 2024 von 16 bis 24 Jahre und bei der Wahl 2019 nur von 18 bis 24 Jahre alt war. Dies alles in Rechnung gestellt, lässt sich folgendes zum Wahlergebnis sagen: Die AfD wurde von der gesamten Wahlbevölkerung zu 16 Prozent gewählt, und bei den unter 25jährigen erhielt sie ebenfalls 16 Prozent. Das bedeutet zwar für die unter 25jährigen eine Verdreifachung der AfD-Wählerinnen und Wähler im Verhältnis zur letzten EU-Wahl, jedoch keinen wesentlichen »Ausreißer« im Verhältnis zu den älteren Altersgruppen. Im Gegenteil, denn während der Bayerische Rundfunk zwar am 11. Juni 2024 titelte »Europawahl 2024: Arbeiterpartei AfD – die Jugend wählt rechts«, konnten die verlinkten Studienergebnisse von Infratest Dimap auf der gleichen Homepage die Behauptung über »die Jugend« deutlich entkräften. Zwar erhielt die AfD bei den Arbeitern tatsächlich von allen Parteien die höchsten Werte (33 Prozent), konnte das aber für die Jungwähler keineswegs von sich sagen. Bei den 16- bis 24jährigen schnitten die Union mit 17 Prozent, die AfD mit 16 Prozent, die Grünen mit elf Prozent, die SPD mit neun Prozent, die FDP mit sieben Prozent, die Linkspartei mit sechs Prozent und das BSW ebenfalls mit sechs Prozent ab. Zugleich wählten etwa 28 Prozent der jungen Wähler nichtetablierte Parteien wie Die PARTEI, Volt, Tierschutzpartei usw. 84 Prozent der Jungwähler gaben bei den Wahlen zum EU-Parlament ihre Stimme also nicht der AfD.

Etwas differenzierter zu den Altersgruppen ermittelte Infratest Dimap – wie gesagt – für die Gesamtwählerschaft und für die 16- bis 24jährigen 16 Prozent für die AfD; bei den 25- bis 34jährigen waren es immerhin 18 Prozent, bei den 35- bis 44jährigen sogar 20 Prozent, bei den 45- bis 59jährigen wieder 18 Prozent, bei den 60- bis 69jährigen 15 Prozent und bei den über 70jährigen »nur« acht Prozent. Wenn also Altersgruppen als besonders AfD-affin beschrieben werden sollten, so wären dies vor allem die 35- bis 44jährigen. »Die« Jugend unter 25 lässt sich demgegenüber eher als »durchschnittlich« beschreiben. Was nichts an der Dramatik des Rechtsextremismus ändert.

Dennoch spricht fast der gesamte liberale Medienmainstream seit der Hurrelmann-Studie und nach den EU-Wahlen vom »Rechtsruck« der Jugend. Nur die FAZ vom 20. Juni 2024 kam nach einer weiteren Jugendbefragung durch das Allensbach-Institut zu einer konträren Ansicht: »17 Prozent der Deutschen unter 30 finden die AfD am sympathischsten. Insgesamt ist die Jugend aber eher links als rechts, wie eine Allensbach-Umfrage (…) zeigt. In den vergangenen Monaten gab es wiederholt aufgeregte öffentliche Diskussionen über die politische Orientierung der jungen Generation. Vor wenigen Jahren sei sie noch überwiegend links gewesen, habe sich vor allem für Umwelt- und Klimaschutz interessiert, nun sei sie nach rechts gerückt, sei frustriert und perspektivlos und habe sich unter dem Einfluss der sozialen Medien der AfD zugewandt.«⁹

Lechts und Rinks?

Was der Medienmainstream jungen Menschen für ihre politische Sozialisation anbietet, ist eine Diffamierung widerständiger Positionen und Umlenkung einer möglichst breiten Schicht Jugendlicher in die »Mitte«: Wer Coronamaßnahmen kritisierte, war AfD-nah und rechts, wer sich nicht impfen lassen wollte, war »Nazi«, »Impfterrorist« und »Sozialschädling«,¹⁰ wer gegen Waffenlieferungen an die Ukraine argumentiert, ist wie die AfD, also rechts, wer die Kriegsverbrechen in Gaza ablehnt, ist bestimmt rechts (aber nicht mit der AfD, die das Vorgehen der israelischen Armee wegen ihres Hasses auf Muslime gutheißt); wer nicht sternchen-gendert, spricht wie die AfD, wer sich die Klimapolitik der Bundesregierung (Wärmepumpen, Frackinggas, Verbrennerausstieg, E-Autos) nicht leisten kann oder will, ist ein Klimaleugner, also ebenfalls rechts und mit der AfD. Bei der Anzahl der hierbei Diffamierten ist es fast ein Wunder, dass nicht noch viel mehr junge wie alte Menschen regelrecht zur AfD-Wahl getrieben wurden.

Wie hohl klingt da das offiziell geäußerte »Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus«. Alle völkerrechtswidrigen Angriffskriege durch NATO-Staaten in den letzten drei Jahrzehnten blendet der Mainstream einfach aus. Die eigene Komplizenschaft beim saudischen Krieg im Jemen, das eigene Schweigen zum aserbaidschanischen Angriff auf Armenien sowie zu türkischen oder israelischen Aggressionen gegen Irak oder Syrien interessieren genauso wenig. Der einzige wirkliche völkerrechtswidrige Angriffskrieg ist der Krieg Russlands gegen die Ukraine – dessen Vorgeschichte man, versteht sich, ausblendet. NATO-Expansionismus, Regime-Change 2014 mit Nationalisten und Neofaschisten, Bombardement der ostukrainischen Zivilbevölkerung mit schwerer Artillerie durch von NATO-Staaten bewaffnete Kiewer Militärs und rechtsextreme Paramilitärs, all das soll es einfach nicht gegeben haben; alles nur Kreml-Propaganda. Alles rechts.

Für einen jungen Menschen, der unter diesen politischen, medialen und wissenschaftlichen Bedingungen aufgewachsen ist, dürfte es einigermaßen schwer sein, sich im Rechts-links-Koordinatensystem zurechtzufinden. Bei dieser »Umwortung aller Worte« werden augenscheinlich zentrale Inhalte des Adjektivs »links« entfernt und durch reaktionäre Inhalte ersetzt. Vor diesem Hintergrund sollten auch die verschiedenen Jugendstudien und deren politische, mediale und wissenschaftliche Thematisierung kritisch betrachtet werden. Es drängt sich der Verdacht auf, dass sich die veröffentlichte Meinung nur dafür interessiert, wie viele junge Menschen beabsichtigen, die AfD zu wählen; alles andere scheint nebensächlich zu sein, wird umgehend vergessen oder verdrängt. Und damit wird womöglich schon ein zentrales Bündel von Ursachen für Ansichten und politische Entscheidungen vieler junger Menschen ausgeblendet. Der »Extremismus der Mitte« in Politik, Medien und Wissenschaft gerät derweil zum entscheidenden Steigbügelhalter für den Rechtsruck in den gesamten europäischen Gesellschaften.

Anmerkungen:

1 https://www.freitag.de/autoren/georg-fuelberth/ukraine-krieg-haben-sich-linke-in-wladimir-putin-getaeuscht

2 Vgl. Norberto Bobbio: Rechts und Links: Zum Sinn einer politischen Unterscheidung. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 5/1994, S. 543–549

3 Vgl. https://simon-schnetzer.com/trendstudie-jugend-in-deutschland-2024/ oder https://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/549130/wie-ticken-jugendliche-sinus-jugendstudie-2024/

4 Vgl. https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2024-09-01-LT-DE-TH/umfrage-alter.shtml sowie https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2024-09-01-LT-DE-SN/umfrage-afd.shtml

5 Vgl. Pauline Reibe: Jung, ostdeutsch, rechts: Darum wählt meine Generation die AfD. In: Hamburger Morgenpost, 2.9.2024

6 https://www.generation-thinking.de/post/jugenwahlstudie-2024 sowie https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/studie-jugend-100.html

7 Vgl. https://collections.fes.de/publikationen/content/zoom/1210952

8 Vgl. Frankfurter Rundschau, 27.8.2024; ein Phänomen, welches auch schon in Studien seit den 1990er Jahren über sich als eher »links« verstehende Gewerkschafter bemerkt wurde, die offen für standortnationalistische und »rechte« Parolen waren. Vgl. Richard Stöss: Gewerkschaften und Rechtsextremismus in Europa, Berlin 2017, S. 25 f.

9 Thomas Petersen: Debatte über Rechtsruck. Wer jung ist, steht eher links der Mitte. In: FAZ, 20.6.2024

10 Vgl. Der Freitag, 27.6.2024

Wie ein Kriegsminister spricht

„Wir brauchen diese öffentliche Debatte, um den Ernst der Lage klarzumachen: Einerseits erleben wir durch das aggressive Auftreten Russlands eine neue Bedrohungslage in Europa, andererseits haben wir eine Fähigkeitslücke, die wir kurzfristig nur mithilfe der USA-Verbündeten schließen können, bis wir diese Waffen selbst entwickelt haben.“

Verteidigungsminister Boris Pistorius zur Debatte über die geplante Stationierung von weitreichenden US-Waffen in Deutschland. (HNA/WLZ 17.08.2024, Beilage Sonntagszeit, S. 2)

Zur Klarstellung:

1. Was bedeutet Debatte?

„Eine Debatte (von französisch débattre „diskutieren, erörtern“) ist ein Streitgespräch, das im Unterschied zur Diskussion formalen Regeln folgt und in der Regel zur inhaltlichen Vorbereitung einer Abstimmung dient.“ (Wikipedia)

Minister Pistorius meint offenbar kein klärendes Streitgespräch, sondern betreibt Propaganda für die Stationierung todbringender und weitreichender Waffen in Deutschland. Denn eine Abstimmung ist laut Besatzungsstatut („Nato-Vertrag“) nicht vorgesehen, weil dabei eine Ablehnung riskiert würde.

2. Der Ernst der Lage besteht nicht erst seit Februar 2022, als die russische Armee mit ihrer „Spezialoperation“ gegen die Ukraine begann, sondern schon seit 10 Jahren, als 2014 auf dem Kiewer Maidan der von den USA unterstützte Putsch gegen die demokratisch gewählte Regierung erfolgte und die ukrainische Armee 8 Jahre lang die russisch sprechende Bevölkerung der Regionen Donbass und Luhansk bombardierte – unter den Augen der „westlichen Wertegemeinschaft“.

3. Die neue Bedrohungslage in Europa ist seitdem das Ergebnis erfolgreicher Autosuggestion willfähriger Politiker, die – statt die Lebensinteressen ihres Wahlvolkes und ihrer Wirtschaft – die Profitinteressen von weltweiten Rüstungskonzernen sowie den weltweiten Dominanz-Anspruch der USA bedienen.

4. Die orwellsche Wortschöpfung Fähigkeitslücke ist pure Propaganda und zielt auf das positiv besetzte „zu etwas fähig sein“ und somit positive Möglichkeiten zu haben, die negativ besetzte „Lücke“ zu schließen. Diese soll mit der anstehenden Stationierung nur provisorisch und kurzfristig geschlossen werden, „bis wir diese Waffen selbst entwickelt haben.“

5. Mit dem propagandistischen wir des Ministers soll offensichtlich eine emotionale Verbundenheit von Herrschern und Beherrschten und ein Ansporn für die tüchtige Waffenindustrie ausgedrückt werden.

Fazit

Leider sind wir in Wirklichkeit offenbar schon weiter als es uns in den „Leitmedien“ weis gemacht wird. Folgendes probieren Sie bitte in Ihrem Browser zu finden, es ist eine notwendige, sehr nützliche Lektüre:

Pressenza Der 3. Weltkrieg hat bereits begonnen

Ihr Urlaubsgeschenk wartet auf Sie!

Diese verheißungsvolle Ankündigung stand gestern in Betreff der bei mir eingetroffenen Mails und kam um 20:17 Uhr von der Süddeutschen Zeitung. Seit ich denken kann stehen Geschenke, besonders zum Geburtstag oder zu Weihnachten, bei mir hoch im Kurs. Damals zum Beispiel das Päckchen aus Dresden öffnen, dabei die Kordel nicht durchschneiden, weil sie ja nochmal verwendet werden kann, sodann die Öffnung des oben liegenden Briefumschlags, die Entzifferung des in Sütterlin geschriebenen herzlichen Briefes der Oma, nun endlich ran an die Überraschung: das Auspacken des Christstollens! Inzwischen schenke ich mir natürlich den Dresdener Christstollen selber. Damals war er für mich kostenlos. Geschenk eben!

Klopfen wir doch mal die Bedeutung des Wortes ab! Bei Wikipedia heißt es kurz und knapp: Ein Geschenk ist die freiwillige Eigentumsübertragung einer Sache oder eines Rechts an den Beschenkten ohne Gegenleistung – also unmittelbar zunächst kostenlos für den Empfänger. Im übertragenen Sinne kann man auch jemandem seine Aufmerksamkeit, sein Vertrauen oder seine Liebe schenken. Aha – also ohne Gegenleistung!

Und welches Geschenk der SZ für den Urlaub wartet angeblich auf mich? Weil ich ja weiß, dass es sich um ein kränkelndes, um Leser kämpfendes bildungsbürgerliches Blatt handelt, bin ich ziemlich skeptisch, zumal ich vor vier Tagen schon von meiner Urlaubsreise zurück gekommen bin. Also mache ich die Mail auf und lese da:

„Lieber Herr Zimmermann, egal, ob Sie in den Süden reisen oder es sich auf Balkonien gemütlich machen – SZ Plus begleitet Sie in den nächsten 6 Monaten überallhin.“

Da haben sich die Werbetexter und -psychologen aber richtig vergaloppiert. Wie viel tausend Empfänger sollen sich von diesem Satz angesprochen fühlen? Einerseits bin ich wirklich nicht lieb. Denn hinter SZ Plus verbergen sich stets ausführlichere Beiträge und Kommentare, auf die ich bislang wegen der Bezahlschranke verzichtete. Andererseits bin ich im Urlaub nicht in den Süden sondern in den Norden, nämlich an die Ostseeküste gereist. Das ist doch nicht „Balkonien“ und schon lange nicht „egal“!

Dass dieses „Sommer-Spezial“ genannte Lockvogel-Angebot (für „nur 49 €“) auch noch für 6 Monate gelten soll, zeugt von einer geradezu bizarren Ignoranz. Denn welcher Sommer dauert ein halbes Jahr?

Ach ja: Was soll nun das Urlaubsgeschenk sein? Erst wenn man dieses 6 Monate dauernde „Sommer-Spezial“ bestellt und sich damit seine „SZ – Plus-Lektüre“ bestellt hat, bekommt zum Abo ein Geschenk:

Die gedruckte SZ Langstrecke bündelt die besten Lesestücke aus drei Monaten SZ

Sorgfältig von der Redaktion kuratiert

Im Wert von 9,50 € inkl. gratis Versand zu Ihnen nach Hause

Dann muss der Urlaub alles in allem total verregnet und jedes Museum verschlossen sein. Wer wünscht sich so einen Urlaub mit einem solchen Geschenk, für das ja erst das Halbjahres-Abo für „nur 49“ € nötig ist.

Um die Abonnentenzahl zu steigern wird mit dem Wort „Geschenk“ gelockt, das braucht es aber zuvor eine Gegenleistung. Die bildungsbürgerlichen Werber – am besten auch die verantwortlichen Redakteure – sollten sich nicht wundern, wenn an dieser Stelle an Bauernfängerei erinnert wird:

Bauernfängerei bezeichnet einen plumpen Betrug. Das Wort ist eine Ableitung von Bauernfänger und stammt aus der Berliner Gaunersprache. Bauern waren ursprünglich Leute, die aus dem Umland nach Berlin reisten und dort Opfer von Betrügern wurden; mit fangen war „überlisten“ gemeint. Wikipedia (DE)

20. Juli, Delegitimierung, Stauffenberg, Kant und der Widerstand

Nicht nur aus Anlass des Tages vor 80 Jahren!

Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst der Delegitimierung. Wer wissen möchte, was denn das sperrige Fremdwort bedeutet, das in letzter Zeit so gerne sowohl von Angehörigen der „Ampel-Koalition“ als auch mit ihr sympathisierenden Journalisten in Talkshows zur Rechtfertigung allerlei fragwürdiger behördlicher Maßnahmen gebraucht wird, könnte sich zum Beispiel im Netz schlau machen und googeln.

An oberster Stelle bringt die Suchmaschine bereits die Position des Verfassungsschutzes:

https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/verfassungsschutzrelevante-delegitimierung-des-staates/verfassungsschutzrelevante-delegitimierung-des-staates_node.html

Eine allgemeine, unparteiische Erklärung bietet an zweiter Stelle die Plattform bedeutungonline.de:

https://www.bedeutungonline.de/was-ist-delegitimierung-bedeutung-definition-erklaerung

Hier wird die Legitimierung und deren Negierung zunächst allgemein, sodann in Bezug auf Staatshandeln juristisch und die historische Verwendung betrachtet.

Wikipedia priorisiert dagegen sogleich die Definition des Verfassungsschutzes:

https://de.wikipedia.org/wiki/Verfassungsschutzrelevante_Delegitimierung_des_Staates

Dabei werden die politischen Maßstäbe Links- und Rechtsextremismus entlang der – seit den „Berufsverboten“ in den 1970er Jahren – offiziellen Definitionen erläutert und gegen das Recht auf private Meinungsäußerung abgegrenzt.

Es ist sicher nützlich zu wissen, dass legitim im Gegensatz zu legal (sowie deren Negationen) nichts mit staatlichen Gesetzen zu tun hat. Bei bedeutungonline.de ist als Beispiel-Erläuterung für „allgemein anerkannt, unbestritten, berechtigt“ das folgende, leider nicht nachgewiesene Zitat zu finden:

Formell war er [Claus Schenk Graf von Stauffenberg] ein Hochverräter, aber ich halte das, was er getan hat [das Attentat auf A. Hitler am 20. Juli 1944], für legitim.“

Hierher gehört nun ein nachdenklicher Essay der aktuellen Berliner Morgenpost, in dem nicht nur auf die zahlreichen höchst unterschiedlichen Widerständler verwiesen wird, sondern auch deren Legitimität durch die moralische Motivation für den Mord des Diktators begründet wird.

https://www.morgenpost.de/politik/article406824569/20-juli-1944-was-wir-vom-widerstand-gegen-hitler-lernen-koennen.html

Formell also waren die Attentäter nach der Gesetzeslage Hochverräter. Denn im NS-Staat galt das (von den Nazis) geschriebene Gesetz. Für ihre Motivation gibt es den kategorischen Imperativ Immanuel Kants (1724 bis 1804). Dieser größte deutsche Philosoph und Aufklärer geriet allerdings durch diese Erkenntnis in Konflikt mit den damals Mächtigen in Kirchen und Staat.

Der Begriff „kategorisch“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Imperativ bedingungslos und allgemeingültig ist. Kant behauptet, dass moralische Handlungen auf einer universalen moralischen Gesetzgebung basieren sollten, die für alle rationalen Wesen gleichermaßen gilt. Der kategorische Imperativ fordert die Menschen auf, nach moralischen Prinzipien zu handeln, die universell anwendbar sind, unabhängig von den individuellen Umständen.

Kants kategorischer Imperativ basiert auf dem Prinzip des Autonomie. Kant argumentiert, dass die Menschen rationale Wesen sind, die die Fähigkeit haben, unabhängig von ihren individuellen Wünschen und Neigungen moralische Entscheidungen zu treffen. Der kategorische Imperativ soll Menschen dazu anleiten, moralisch zu handeln, indem sie vernünftige, allgemeingültige Prinzipien anwenden.“ (Quelle: das-wissen.de)

Somit haben wir auch einen Maßstab für legitimes staatliches Verhalten und Handeln, wenn Menschen – und nicht nur die Staatsbürger – entsprechend Kants Aufforderung nun, in der sich demokratisch nennenden Staatsform, den „Mut haben, sich des eigenen Verstandes zu bedienen“ und gegen die Obrigkeit Widerstand signalisieren. Allein in der Frage, ob ein gewisses Regierungshandeln – etwa mittels Gesetzen oder Verordnungen – legitim ist, steckt noch keine „Delegitimiereung“.

Bitte nicht staunen! Wie Stimmungsmache zum Verbraucher kommt.

Kriegsertüchtigung aktuell im Supermarkt unter Kultur, Hobby, Reisen

Hat der oder die kaufmännische Angestellte beim Einräumen des Zeitschriftenregals etwa seinen bzw. ihren Sinn für Ironie bewiesen? Beim eiligen Gang in Richtung Putzmittel fällt der zufällige Blick links in Augenhöhe auf wirklich unerwartete Bilder: Panzer, historische Infanteristen im Schützengraben, Ortsangaben mit Jahreszahlen. Die früheste: Friedland 1807, Napoleons fatalster Sieg (ganz unten!). Die späteste: Riesenposter D-Day (das war 1944 die Landung der Amerikaner in der Normandie, ganz oben, wie versteckt). Dazwischen posaunt CLAUSEWITZ, „Das Magazin für Militärgeschichte“: „Ostpreußen 1914, Wie das Ostheer die Niederlagen in einen Sieg verwandelte“. Etwa eine bislang unbekannte Heldengeschichte?

Es gibt auch Aktuelles: UKRAINEKRIEG Ursachen und Verlauf kompakt erklärt (links). Das hört sich ja richtig neutral an. Im „Erlebnisberichte – Großband“ (rechts) der pompöse Titel „Jagdkommando Reimers“. Auch „Panzergrenadiere – Technik und Einsatz“ oder „Der Gepard – Der beste Flak-Panzer der Welt?“ unterbrechen das offenbar langweilige Friedensgesülze und haben einen abenteuerlichen Akzent.

Zum besseren Orientierung sandte heute das Kasseler Friedensforum diesen Aufruf:

Massive Aufrüstung, Großmacht- und Führungsansprüche und die mentale Militarisierung der deutschen Politik haben atemberaubende Züge angenommen. So soll nicht nur die Bundeswehr kriegstüchtig gemacht werden, Wirtschaft und Gesellschaft sollen auf „Vaterlandsverteidigung“ getrimmt werden. Der EU-Wirtschaftskommissar erklärt: „Wir müssen in den Modus der Kriegswirtschaft wechseln“.

Profiteure der Militarisierung der Wirtschaft sind die Rüstungskonzerne und ihre Zulieferer, während die große Mehrheit der Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten die ökonomischen und sozialen Lasten tragen müssen. Priorität für Aufrüstung und Militär heißt Sozialabbau und Kürzungen bei Gesundheit, Bildung, Umwelt und Infrastruktur. Der 100-Milliarden-Euro-Schuldenfond für die Bundeswehr, 32 Milliarden an die Ukraine, und weitere Ausgabensteigerungen, um das 2%-Ziel der NATO zu erfüllen und zu übertreffen, zeigen, wohin die Reise geht. Die Schuldenbremse soll für alle gelten – außer für die Bundeswehr – und wird so zum Sturmgeschütz gegen die Interessen der Lohnabhängigen und Gewerkschaften.

Dagegen setzen wir: Friedenspolitik und Sozialpolitik gehören zusammen. Wer den Sozialstaat will, muss gegen Aufrüstung und Kriegsbeteiligung kämpfen.

Dazu bietet das Kasseler Friedensforum ein Webinar an: Dienstag, 18.06.2024, 18.00 h, Wir bitten um Anmeldung unter folgendem Link:

https://us02web.zoom.us/meeting/register/tZ0vduyqrzoqGt0cuL7sq6C9jGmUIB-ErxZ_Wir schicken dann die Einwahldaten zur Teilnahme am Webinar.

Wahlplakate: ein witzig-demokratisches Exempel?

Sie sind unübersehbar und können einen schon einfach nerven. Im Land des Automobil-Erfinders Carl Benz, für dessen Nachfolgemodelle inzwischen – nach 139 Jahren – das gesamte Leben, insbesondere in ländlich geprägten Gegenden wie Korbach mit seinen 14 umliegenden Dörfern, eingestellt ist. Vier Männer und eine Frau „blicken“ von Laternenmasten und Plakatwänden mindestens bis zum Wahltag 8. Juni erwartungsvoll Autofahrer, aber natürlich auch Fußgänger an. Sie wollen als Bürgermeister ins Rathaus.

Ob nun Wahlplakate überhaupt überzeugend sind und aus Wahlberechtigten auch Wähler machen, ist ja schon seit Langem zweifelhaft. Trotzdem wird immer wieder mitgemacht. Und die Optik wird schon mal mit riesigen Transparenten locker verzehnfacht. Besonders an so manchem Straßenkreisel, wenn man langsam fahren muss, sind sie unübersehbar.

Außer den mehr oder weniger trefflich lächelnden Gesichtern sollten ja eigentlich Argumente die Wahlberechtigten überzeugen. Aber sie sind beinahe fast versteckt und nicht immer leicht zu erkennen. Hier sind sie in gleichberechtigter Schriftgröße beieinander:

14 Orte 1 Stadt, Bürgernah mit politischer Erfahrung (Thomas Kuhnhenn)

Die ganze Stadt im Blick (Henrik Ludwig)

Klarer Kurs für Korbach, Ihr Bürgermeisterkandidat (Stefan Kieweg)

Eine von Euch, für Euch (parteilose Bürgermeisterkandidatin [Jutta (Jule) Hense])

Wir Bürger meistern das, unabhängiger & parteiloser Bürgermeisterkandidat für Korbach (Gregor Mainusch)

Wer von diesen wenig inhaltlichen Hinweisen an sprachliche Leerformeln oder Worthülsen erinnert wird, befindet sich in einer 2.500-jährigen Tradition. Schon Konfuzius sagte:

Wenn die Begriffe nicht richtig sind, so stimmen die Worte nicht; stimmen die Worte nicht, so kommen die Werke nicht zustande; kommen die Werke nicht zustande, so gedeihen Moral und Kunst nicht; gedeihen Moral und Kunst nicht, so trifft die Justiz nicht; trifft die Justiz nicht, so weiß die Nation nicht, wohin Hand und Fuß zu setzen. Also dulde man nicht, dass in den Worten etwas in Unordnung sei. Das ist es, worauf alles ankommt.“

Verbot des Palästina-Kongresses in Berlin

Liebe Leserinnen und Leser, weil der Entdemokratisierungsprozess wie in diesem Paradebeispiel offensichlich in vollem Gange ist, muss die folgende Erklärung publik gemacht werden. (Hinweis: Die Illustration stammt aus dem arte-Film „Aufstand der Tiere“ nach dem Buch „Animalfarm“ von George Orwell)

ERKLÄRUNG DES BUNDESAUSSCHUSSES FRIEDENSRATSCHLAG

Der vom 12.-14.4. geplante Palästina-Kongress in Berlin unter dem Motto: „Wir klagen an“ wurde nach im Vorfeld bereits stattgefundenen massiven Diffamierungen aus Politik und Medien am Freitag nur kurze Zeit nach Beginn aufgelöst und verboten. Mehrere Menschen, darunter auch Personen jüdischer Herkunft, wurden verhaftet. Das Vorgehen von Politik und Polizei – obwohl es weder vor, noch während noch nach dem Kongress zu keinerlei strafbaren Äußerungen gekommen ist – darf nicht hingenommen werden.

Bereits im Vorfeld wurde alles versucht, um die friedliche Konferenz zu verhindern, auf der insbesondere eine Koexistenz von Israelis und Palästinensern praktiziert wurde. Die Schikanen gingen von Kontensperrungen und dem Versuch, mithilfe des Bauamts und der Feuerwehr unüberwindbare Hürden aufzubauen sowie willkürliche Auflagen zu erlassen, über Betätigungsverbote bis hin zur Verhinderung von Einreisen.

Neben ihren völlig haltlosen Anschuldigungen gegen den Kongress, seine Organisator:innen, Teilnehmer:innen und Redner:innen machen sich deutsche Politik und Medien der Verharmlosung israelischer Kriegsverbrechen an der Bevölkerung des Gazastreifens, der Westbank und Ostjerusalems schuldig. Selbst Zahlen der im Gazastreifen Getöteten sowie die von Israel verursachte Hungerkatastrophe in der Küstenenklave werden in Zweifel gezogen. Über die deutsche Mitverantwortung spricht man lieber nicht. Und das, während Deutschland als zweitgrößter Waffenlieferant Israels und wegen seiner Streichung der Gelder für das UN-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge UNRWA bereits vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag steht.

Die Bundesregierung isoliert mit ihrer Politik Deutschland in der gesamten Welt und handelt ohne jeden moralischen Kompass und Werte. Sie muss sich stattdessen für Deeskalation und diplomatische Lösungen im Israel-Palästina-Konflikt einsetzen.

Das Verbot des Kongresses ist ein riesiger Skandal und stellt eine weitere bedrohliche Eskalation bei der Aushebelung demokratischer Rechte dar. Die fortschreitende Einengung jeglicher Meinungskorridore in Deutschland ist brandgefährlich für alle, weil es das demokratisch verbriefte Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit einschränkt. Die zunehmende Unterdrückung von Meinungsäußerungen sowie die Repression aller kritischen Stimmen zum israelischen Krieg im Gazastreifen und dem absolut unverhältnismäßigen Vorgehen der israelischen Regierung und Armee geht uns alle an.

Kassel, den 14.4.2024