Diese einst an der Fleischer-Theke übliche Frage der Verkäuferin klingt hierbei vielleicht zynisch, drängt sich aber beim Lesen des folgenden Beitrags auf. Denn die Fragen, wie es seit der Gründung des Staates Israel (1948) zu dem aktuellen, immer noch andauernden entsetzlichen und tausendfachen Morden gekommen ist und welches Ziel Israel offiziell hat, werden hier beantwortet.
Die Ursachen der – auch von mir überlebten – Dresdener Bombennacht vom 13./14. Februar 1945 wurden inzwischen, wie überhaupt vieler anderer Kriegsgräuel, sorgfältig beschrieben. Das Völkerrecht in der heutigen Form entwickelte sich seitdem.
Abgeschrieben:
Gaza, Israel und das Völkerrecht
Ein Artikel von John Neelsen
Im aktuellen Konflikt um Gaza sind die westlichen Regierungen, allen voran Washington und Berlin, ebenso wie die etablierten Medien Partei. Sie stehen voll hinter Israel, dessen Existenzrecht sie durch die Terrororganisation Hamas bedroht sehen. Bombardierung und späterer militärischer Einmarsch nach Gaza mit dem Ziel, die Hamas zu vernichten, finden ihre Zustimmung. Völkerrechtlich stützen sie sich dabei auf das Recht auf Selbstverteidigung angesichts des bewaffneten Angriffs der Hamas vom 7. Oktober mit 1.139 Opfern, darunter 695 Zivilisten, und 240 Geiseln. [1] Umstritten ist allein angesichts Tausender von Toten unter der Zivilbevölkerung Gazas deren Verhältnismäßigkeit. Diese Position widerspricht fundamental dem Völkerrecht. Statt der proklamierten menschenrechtsbasierten Außenpolitik ist der Westen Komplize eines späten Kolonialismus. Von John P. Neelsen.
1. Der Sechs-Tage-Krieg 1967, Völkerrecht und Status der Kontrahenten
- Der Gazastreifen mit seinen 2,4 Millionen, auf 362 Quadratkilometer eingepferchten Einwohnern wird seit 2007 von der Hamas regiert. Doch trotz israelischen Rückzugs aller Truppen und Siedler im Jahr 2005 betrachtet die UN das Territorium wegen der umfassenden Belagerung und Kontrolle aller Zugänge ganz wie die anderen, im Sechs-Tage-Krieg von 1967 eroberten Gebiete, d.h. den syrischen Golan, Ostjerusalem und die Westbank, als ‚besetzte Gebiete‘, Israel als ‚Krieg führende Besatzungsmacht‘. Von einer seit je geforderten Zweistaatenlösung keine Spur – trotz Osloer Abkommen von 1993. So ist Israel seinen zentralen völkerrechtlichen Verpflichtungen nach Rückzug bzw. zeitlicher Begrenzung seiner Besetzung und, noch weniger, diese zum Wohl und zur Sicherheit inklusive des Eigentums der Lokalbevölkerung auszuüben, nicht nachgekommen. [2] Im Gegenteil! Nach 56 – bzw. Gaza 38 – Jahren Besatzung gekennzeichnet von jüdischer, meist mit Enteignung und gewalttätiger Vertreibung der palästinensischen Eigentümer verbundenen Ansiedlung sowie einer umfassenden sozial-ökonomischen Fragmentierung und infrastrukturellen Archipelisierung der städtischen Gebiete der Westbank diagnostiziert die UNO eine Politik der Annektierung, de jure (Ostjerusalem) bzw. de facto. [3]
- Auf diesem Hintergrund formulierte die Generalversammlung der Vereinten Nationen, gestützt auf Resolutionen, inklusive des Sicherheitsrates ausdrücklich die Legitimität des Kampfes des palästinensischen Volkes für Selbstbestimmung auch mit Waffengewalt. [4] Darauf setzte auch die 1964 gegründete PLO (Palestine Liberation Organisation mit der FATAH als Hauptpartei und ohne die Hamas), die international als legitime Vertretung Palästinas – seit 1974 mit UN-Beobachterstatus – anerkannt ist. Ihrer Absage 1987 an den bewaffneten Kampf folgte im Kontext der ersten Intifada die Gründung der ‚islamischen Widerstandsbewegung‘ Hamas. Anders als vor allem Israel, die USA und die EU verdammen die meisten Staaten inklusive der UN die Hamas nicht als Terrororganisation. [5]
- Dabei ist zu berücksichtigen: (a) Hamas hat bei den bisher letzten palästinensischen Parlamentswahlen 2006 die absolute Mehrheit der Abgeordneten gewonnen; (b) seit 2007 regiert sie allein in Gaza, wobei viele Finanzmittel von der Fatah dominierten Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) in Ramallah überwiesen werden; (c) die überwiegende Mehrheit der Palästinenser begrüßt den Angriff der Hamas vom 7. Oktober, während Fatah, PA und vor allem deren Präsident Abbas abgelehnt werden. [6] Mit anderen Worten: Hamas ist intern demokratisch legitimiert und als Vertreterin eines besetzten Territoriums grundsätzlich als Befreiungsbewegung anzuerkennen. Dies gilt, mögen auch einzelne Akte des Angriffs vom 7. Oktober das auch für Befreiungsbewegungen geltende humanitäre Völkerrecht, wie Verhältnismäßigkeit und Unterscheidung von Zivilisten und Soldaten, verletzen und Straftaten darstellen. Israel andererseits kann als koloniale Besatzungsmacht kein Recht auf Selbstverteidigung beanspruchen.
2. Völkermord in Gaza und ‚Grundgesetz Israel‘
- Israel gibt vor, Hamas als Organisation auslöschen zu wollen. In Wirklichkeit wurde die jahrelange Blockade aller Zugänge mit einer mehrere Meter hohen, bis ins Mittelmeer reichenden und mit automatischen Maschinengewehren bestückten Mauer seit dem 7. Oktober in einen totalen Krieg, einschließlich Cyberspace, gegen die gesamte Bevölkerung Gazas gesteigert. Als Folge der an Leningrad im Zweiten Weltkrieg erinnernden Belagerung mit weitgehender Unterbrechung der Versorgung an Nahrungsmitteln, Wasser, Strom und Medikamenten leiden rund 600.000 Menschen (25 Prozent der Einwohner) an extremem Hunger und Wassermangel. Bei der seit zehn Wochen andauernden ununterbrochenen Bombardierung, gefolgt vom Einmarsch der Armee, wurde ein Großteil der Infrastruktur, Wohnhäuser, Hospitäler, Schulen, Kirchen und Moscheen zerstört. 85 Prozent der Bewohner sind auf der Flucht, ausweglos Gejagte im größten Freiluftgefängnis weltweit. Den bisher 29.000 Bomben, anfangs in einer Woche mehr als in einem Jahr über ganz Afghanistan, fielen bis dahin 20.915 Tote, 54.918 Verwundete und 8.000 Vermisste, zu 70 Prozent Frauen und Kinder, zum Opfer. [7] Der völkerrechtlich untersagte Einsatz von weißem Phosphor, von Artilleriegranaten in dicht besiedelten Wohngegenden und von 41 Prozent Sprengkörpern ohne Zielsteuerung verdeutlicht die Strategie: maximaler Tod und Zerstörung, unerträgliche Traumatisierung und dauerhafte Einschüchterung der Überlebenden. Demgegenüber beklagt Israel – über die 1.139 Opfer vom 7. Oktober hinaus – den Tod von 164 Soldaten im Einsatz in Gaza. [8]
Dies ist kein Krieg, wie westliche Medien und Regierungen unablässig wiederholen. Dies ist ein Gemetzel, tagtäglich verübte Kriegsverbrechen gegen eine wehrlose Bevölkerung. - Schlimmer noch, dies ist kein Zufall! Die UN-Konvention von 1948 definiert ebenso wie das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs von 1998 Genozid weniger an der absoluten Zahl der Opfer als an der Absicht, eine ethnisch-kulturelle Gruppe zu vernichten. [9] Typischerweise mit Dehumanisierung gepaart, finden sich entsprechende Äußerungen bei führenden Vertretern in Politik und Militär Israels. Von ‚menschlichen Tieren‘, die vernichtet, von Gaza, das dem Erdboden gleichgemacht werden müsse, sprachen Israels Premier, Botschafter und Verteidigungsminister. [10]
- Doch weniger als Reaktion auf einen Überraschungsangriff entspricht das israelische Vorgehen objektiv dem 2018 von der Knesset verabschiedeten „Grundgesetz ‚Israel – Nationalstaat des jüdischen Volkes‘“. In ihm hat allein das jüdische Volk das Recht auf Selbstbestimmung, werden Hebräisch als einzige Nationalsprache und das ungeteilte Jerusalem als Hauptstadt bestimmt. Mehr noch, das in den Grundprinzipien des Grundgesetzes genannte ‚Land Israel‘ erstreckt sich vom Jordan bis zum Mittelmeer. Es umfasst damit nicht nur das Territorium des Staates Israel, sondern auch die ‚besetzten palästinensischen Gebiete’ inklusive Westbank und Gaza. Dies erklärt die seit Langem verfolgte Politik der Apartheid für die 20 Prozent palästinensischen Israelis, die grundgesetzlich verankerte Ansiedelung von inzwischen 700.000 jüdischen Staatsbürgern auf originär palästinensischem Territorium sowie der forcierten Immigration aus der Diaspora. Gleichwohl besteht ein demographisches Problem: Der Palästinenser-Anteil im ‚Land Israel‘ entspricht mit 7,3 Mio. dem jüdischen, aber wächst stärker! Höhere Geburten- und Einwanderungsraten sind die eine, eine Reduzierung der Palästinenser-Bevölkerung durch Vertreibung und Flucht, eine Nakba 2.0, die andere strategische Variante.
- Gaza als Blaupause?! Entgegen seiner Verpflichtung als Besatzungsmacht und seines langfristigen Sicherheitsinteresses haben sukzessive israelische Regierungen statt Förderung einer kooperativen Entwicklung Gazas als Teil eines unabhängigen Staates Palästina dessen Bevölkerung sozial-ökonomisch stranguliert, allenfalls als billige Tagelöhner in Israel geduldet. Drei Viertel der Bewohner sind Flüchtlinge, viele leben in einem der acht Flüchtlingslager. 95 Prozent haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. Abwasserkanäle und Kläranlagen sind praktisch nicht existent. Bei einer Stromversorgung von täglich maximal elf Stunden sind öffentliche Betriebe wie Krankenhäuser, vor allem aber Entwicklung von Industrie und Landwirtschaft a priori eingeschränkt. Seit der Blockade 2007 sind BSP und Pro-Kopf-Einkommen (PKE) um 37 Prozent gesunken. [11] Bei einem PKE von durchschnittlich 3,20 USD p.d. und einer Arbeitslosenquote von 46 Prozent, die in der Altersgruppe 15 bis 29 auf 62 Prozent ansteigt, ist dauerhafte ausländische Hilfe unersetzlich, denn 80 Prozent der Bevölkerung sind arm, 63 Prozent leiden unter Nahrungsmittelunsicherheit. [12] Angesichts der jetzt noch hinzukommenden existenziellen Zerstörung sind die Zukunftsaussichten trotz prognostizierten Bevölkerungswachstums auf 3,1 (2030) bzw. 4,7 Mio. (2050) katastrophal, werden u.a. Umsiedlungen z.B. nach Ägypten ins Spiel gebracht. [13]
3. Israel, Gaza und der Westen
Israel kann auf die grundsätzliche Unterstützung des kollektiven Westens, insbesondere der USA und Deutschlands, bauen. Schon lange als Terrororganisation gebrandmarkt, war die absolute Verurteilung des Angriffs der Hamas vom 7. Oktober vorhersehbar. Dessen Hintergründe werden ebenso wenig beleuchtet wie die Geschichte des seit 1948 andauernden Palästina-Konflikts, die Politik Israels oder die Perspektiven einer langfristigen Lösung auf Basis des Völkerrechts. Israel gilt als belagerte Demokratie in einem feindlichen Umwelt, das von einer blutrünstigen Terrorbande überfallen, in seiner Existenz gefährdet, in seinem Recht auf Selbstverteidigung, konkret Einmarsch in Gaza und Vernichtung der Hamas, militärisch und politisch unterstützt werden muss. [14] So ist trotz wachsender Forderungen nach einer (erneuten) ‚humanitären Feuerpause‘ bzw. einem Waffenstillstand die materielle politische und militärische Unterstützung Israels im Gegensatz zu den eher symbolischen Akten der Solidarität gegenüber palästinensischen Opfern ungebrochen. [15]
So entsandten die USA wie auch Frankreich frühzeitig Schlachtschiffe in die Region, um eine Ausweitung des Krieges zu verhindern, objektiv Israel den Rücken freizuhalten, dem Land einen Mehrfrontenkrieg zu ersparen. Ähnliches gilt für die Operation Prosperity Guardian im Roten Meer gegen Drohnen der mit den Palästinensern solidarischen jemenitischen Huthi. Von den USA offiziell zum Schutz der Handelsschifffahrt und der Freiheit der Meere initiiert, beteiligen sich, obwohl unmittelbar betroffen und Gegner der Huthis, weder Saudi Arabien noch Ägypten an dem Unternehmen. Auch China, das auf der afrikanischen Seite der Meerenge von Bab el-Mandeb eine Marinebasis unterhält, fehlt. Stattdessen befinden sich die Kriegsmarinen Frankreichs, Großbritanniens, der Niederlande, Norwegens, Italiens und Kanadas an vorderster Front, und auch die BRD überlegt einzusteigen. [16]
Resümee: Weder die Existenz, schon gar nicht das Existenzrecht des Staates Israel stehen auf dem Spiel, sondern der mit millionenfachem Elend bezahlte zionistische Kolonialismus. Statt auf das, allein wahre Sicherheit versprechende, implizite Zugeständnis eines Palästinenserstaates in den Grenzen von 1967 in Hamas programmatischen Grundsätzen von 2017 einzugehen [17], wird die gegenwärtige Politik auch in den folgenden Generationen nur zu mehr Hass, Widerstand und Blutvergießen führen. Ein Volk von heute weltweit 16 Millionen, dessen weit überwiegende Mehrheit in Europa über Jahrhunderte verfolgt, im Holocaust ein Drittel seiner Mitglieder hingemordet erlebt hat, wendet gegenüber den Palästinensern ähnliche Methoden der Ausgrenzung und Unterdrückung an – das ist die wahre Tragödie Israels.
Es wird die Schlacht um Gaza gewinnen, aber den Krieg verlieren! Der Genozid an der Bevölkerung, die Zerstörung von Gotteshäusern, Wohnungen, Sozialeinrichtungen und Hospitälern in Gaza hat die Weltöffentlichkeit gegen Israel aufgebracht, seine westlichen Beschützer isoliert und deren Kolonialvergangenheit ins kollektive Gedächtnis des globalen Südens hervorgeholt. Durch den Ukraine-Konflikt bereits angekratzt, wird der politische Niedergang des Westens und seiner Führungsmacht USA beschleunigt, seine Menschenrechtsrhetorik als Instrument einer Doppelmoral im Dienste reiner Machtpolitik entlarvt.
Beim Anklicken der Anmerkungs-Nummern wird die entsprechende NachDenkSeiten-Seite aufgerufen. Das muss man nicht, um den Text zu verstehen. Die 17 Anmerkungen sind sozusagen der Stolz des Wissenschaftlers John Neelsen, alles seine Aussagen belegen zu können.