Ton Steine Scherben – 54 Jahre und doch noch aktuell

Rio Reiser. Foto: (c) Deutschlandfunk

Die offizielle tipBerlin-Seite wirbt unter dem Titel „Musik und Revolution“: Ton Steine Scherben sind die Band, die Berlin wohl am nachhaltigsten geprägt hat. 1970 in der Zeit der Studentenproteste gegründet, erfanden sie quasi im Alleingang die politische Rockmusik in deutscher Sprache. Rio Reiser, der charismatische Sänger der Scherben, schrieb Lieder von dringlicher Bedeutung. Er kritisierte politische, soziale und gesellschaftliche Missstände, gab den Problemen seiner Generation eine Stimme und bewegte die Massen.

Noch heute sind Songs wie „Keine Macht für Niemand“, „Warum geht es mir so dreckig?“ und „Der Traum ist aus“ aktuell. Und der Einfluss der Scherben auf die Entwicklung der Musik in Deutschland enorm: Von Herbert Grönemeyer bis zu den Einstürzenden Neubauten, von Jan Delay bis Bosse, von den Beatsteaks bis Wir sind Helden, die Verehrung folgender Generationen für das Scherben-Werk hält an.

Dank Youtube kann man sich davon überzeugen. Es gibt zudem die Band „Gymmick und die Erben“, die Lieder von Rio Reiser und den Scherben spielen.

https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwjwoOqf-4eQAxWTwAIHHYkPBRcQ3aoNegQIHRAH&url=https%3A%2F%2Fwww.youtube.com%2Fwatch%3Fv%3D5vRJAj7ROCw&usg=AOvVaw3io__WfqdVg1dKFOTgJOdB&opi=89978449

Ergänzung: https://www.gymmickunddieerben.de

Viel Vergnügen!

Sparkassen: Seit über 200 Jahren ein wesentlicher Teil der Gemeinschaft?

So ist jedenfalls die online gefundene geschichtliche Darstellung – ohne Fragezeichen – überschrieben. Ob die Verantwortlichen der Korbacher Filiale der Sparkasse Waldeck-Frankenberg die Geschichte ihrer Organisation kennen? Sparkassen wurden einst gegründet, weil viele einfache Menschen sonst nie die Anschaffungen bezahlen konnten, die sie brauchten. Allein wenn man das imposante Korbacher Hauptgebäude aus Beton und Glas am Nordwall 6 bis 8 mit etwas Abstand sieht, entsteht die Frage: „Haben das die Sparer bezahlt, weil sie das brauchten?“

Auf dem Foto ist zusehen, was aus der Vorstellung von „Gemeinschaft“ geworden ist: Aus dem Gebäude links, in dem sich mal eine Sparkassen-Filiale befand, wo sich Menschen treffen und miteinander sprechen konnten, hat sich seit Kurzem eine Filiale der Allianz-Versicherung breit gemacht. Nun steht nur noch der Geldautomat – draußen. Die Vereinzelung der Menschen ist wieder mal zwangsläufig. Bei Wind und Wetter.

Eine Überweisung am Service-Point ausfüllen? Ältere Menschen, womöglich ohne Auto? Bleibt nur der Weg in die Innenstadt…

Deutscher Alltag: Die Angst beim unerwartet schweigenden Friseur

Seit dem Umzug in die Kreisstadt lasse ich mir die grauen Haare regelmäßig vom selben Haarkünstler bearbeiten. Er ist gebürtiger Syrer und war damals Angestellter eines Salons, in dem außer ihm nur Friseurinnen arbeiteten. Natürlich bevorzuge ich prinzipiell in dieser Angelegenheit einen Mann. Da ich als Lehrer im Ruhestand schon in mehreren Integrationskursen zahlreiche Geflüchtete unterrichtet hatte, kamen wir von Anfang an ins Gespräch.

Er kam vor etwa elf Jahren, hatte keinen Integrationskurs, brachte sich online selbst Deutsch bei, fing an zu arbeiten und zeigte sogar in meinem Beisein der Praktikantin einer Schule, was eine Façon-Frisur für Herren ist. Wir diskutierten jedes Mal über Bürokratie und seine zukünftigen Möglichkeiten. Eine Meisterprüfung wäre leider zu teuer. Auch die jeweilige politische Situation kam zur Sprache. An einem Sonntag begrüßte er mich fröhlich in einem Freizeit-Park, als er mit einem anderen an mir und meiner Frau, die wir auf einer Bank saßen, vorbei kam.

Mittlerweile hat sich der syrische Frisör mit einem eigenen Salon selbständig gemacht. Sehr aufwändig und ansprechend eingerichtet, nahe der Fußgängerzone mit vielen Kundinnen; zwangsläufig Terminvereinbarung!

Also dieses Mal fragte ich, da ja der Nah-Ost-Konflikt, auch die Bomben auf iranische Atomanlagen und Israels Gaza-Krieg ungeahnte Opferzahlen ergaben, was er davon halte. „Dazu sage ich nichts. Dann sage ich auch nichts Falsches!“ war seine Antwort.

Offenbar war mein Friseur aus dem Iran nun auch im ängstlichen Alltag der deutschen Gegenwart angekommen. Schließlich gehört er zu einer Risikogruppe und möchte wahrscheinlich – anders als wir „Normalos“ seinen Aufenthaltsstatus behalten.

AFD reüssiert: Sprache aktuell – Ergebnis der Kommunalwahlen in NRW

Oder: Wie erreichen die richtigen Ideen die richtigen Menschen?

„Kommunikation ist das, was ankommt“ soll Joschka Fischer als damaliger Obergrüner mal gesagt haben. Das leuchtet sofort ein. Insofern müssten Journalisten natürlich immer ihre Leser im Kopf haben, denen sie etwas mitteilen wollen. Das ist ja genau so wie bei den Textern von Werbesprüchen oder Propaganda-Botschaften.

Nun gab es in Nordrhein-Westfalen (NRW), dem Bundesland mit den meisten Einwohnern eines deutschen Flächenstaates Kommunalwahlen. Dazu gehört bekanntlich der „Ruhrpott“ oder kurz: Pott. Dort gibt es unzählige ehemalige Bergarbeiter stillgelegter Zechen und ehemalige Stahlarbeiter, deren Werke wegen des internationalen Konkurrenzkampfes geschlossen wurden. Also außer unzähligen Immigranten lauter Proletarier und Abgehängte. Die waren einfach links und haben viele Jahre wie gewohnt selbstverständlich SPD gewählt. Aber nun?

Und woran könnten sich diese Menschen in der Berichterstattung orientieren? Die sich als links verstehende „junge Welt“ titelt mit: „AfD reüssiert im Westen“.

Was soll das? „reüssieren“ bedeutet „Erfolg haben“. Bekanntlich gehört die Sympathie dem Erfolgreichen. Also sehr positiv! Trotz dieses relativierenden Vorzeichens ist die Analyse ergiebig. Aber die notwendige Zielgruppe beziehungsweise Wählerschaft wird sie leider nicht lesen.

https://www.jungewelt.de/artikel/508405.kommunalwahlen-in-nrw-afd-re%C3%BCssiert-im-westen.html

Die Meinungsfreiheit, die Angst und der Mut

Gletscherblicke im Ötztal …

Da hatten wir doch 2024 aus Anlass des 300 Jahre zuvor geborenen Philosophen und wichtigsten Aufklärers ein ganzes Jahr lang kluge Ansprachen mit allerlei Zitaten und Diskussionen genossen. „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ gilt als der auf Immanuel Kant zurückgehende Leitspruch jener Aufklärung, den er in seinem 1784 veröffentlichten Aufsatz „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ formuliert hatte.

Aktuell ist im Lande Kants wirklich Mut nötig, wenn sich aus den Meldungen der öffentlich-rechtlichen Kanäle und der sich als Leitmedien verstehenden Presseorgane Meinungen ergeben, die hochoffiziell unerwünscht sind.

Da wird schon mal eine Demo verboten, deren Initiatoren sich gegen den israelischen Gaza-Krieg wenden, weil damit „Antisemitismus“ verbreiet werde. Da haben doch viele Angst, trotzdem für ihre Meinung zu demonstrieren und vielleicht im Knast zu landen.

Oder der Vorwurf, ein „Putin-Versteher“ und ein Befürworter von dessen „brutalem Angriffskrieg“ zu sein, ereilt eine Zeitgenossin bzw. einen Zeitgenossen, wenn er oder sie meint, die Regierung der Ukraine sei vor 2022 mit ihrem Streben in die NATO nicht ganz unschuldig gewesen und habe Russland gar provoziert.

Wozu taugt dann noch die garantierte Meinungsfreiheit? Man darf einfach keine Angst zeigen, meint meine Frau, die 40 Jahre DDR-Regierung erlebt hat.

„Mut, auch Wagemut oder Beherztheit, bedeutet, dass man sich traut und fähig ist, etwas zu wagen, das heißt, sich beispielsweise in eine gefahrenhaltige, mit Unsicherheiten verbundene Situation zu begeben. Diese kann eine aktivierende Herausforderung darstellen wie der Sprung von einem Fünfmeterturm ins Wasser oder die Bereitschaft zu einer schwierigen Prüfung. Sie kann aber auch in der Verweigerung einer unzumutbaren oder schändlichen Tat bestehen.“ (Wikipedia)

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art. 5 

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Ankündigung: Kinodokumentarfilm Walter Kaufmann – Welch ein Leben!

Ein bewegendes Zeitdokument…

… ist zu erleben im Rahmen des Kommunalen Kinos „Der besondere Film im September“, jeweils mit Einleitung durch die Regisseurin Karin Kaper und ein anschließendes Filmgespräch:

Am Dienstag dem 9.September 2025 um 19 Uhr in der Wandelhalle von Bad Wildungen-Reinhardshausen. Außerdem gibt es am 9.9.25 schon um 10.30 Uhr eine Schulvorführung.

„Der Film über Walter Kaufmann ist mehr als nur gelungen, er ist ein großartiges und bewegendes Zeitdokument, das von dem greisen Duisburger und Berliner Schriftsteller noch selbst besprochen wird. Es wirkt wie ein Wunder, wenn der fast 100jährige durchs Bild läuft und seine Erinnerungen und die Stationen seines ungewöhnlichen Lebens professionell kommentiert. Dezent und stilsicher begleitet die Filmmusik die Bilder, ein großer Film über den Schriftsteller, Seemann und Weltbürger.“ freute sich Thomas Becker in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung.

Und Landolf Scherzer staunte in Ossietzky: „Was für ein Film! Die Filmemacher Karin Kaper und Dirk Szuszies beherrschen meisterhaft, die Fakten des Lebens von Walter Kaufmann geschickt zusammenzusetzen und kunstvoll in Bildern zu gestalten. Der Film besticht nicht nur durch die lebendigen Originalinterviews mit dem 97jährigen, sondern auch durch historische Zeitaufnahmen und eindrucksvolle Landschaften von den Orten seines Lebens. Ein bewegender Film. Weltgeschichte. Deutsche Geschichte.“

„In ehrendem Gedenken an Walter Kaufmann, der am 15.4.2021 im Alter von 97 Jahren in Berlin gestorben ist.“ so die Filmemacher.

Und weiter: „Schillernder als jedes Drehbuch ist das Leben von Walter Kaufmann. Er setzt mit seinem Leben ein nachwirkendes Zeichen gegen jede Form von Rechtsruck, Rassismus und Antisemitismus, die wieder bedrohliche Ausmaße in unserem Land angenommen haben. Der Film ist ein Appell an uns Lebende, die elementaren Menschenrechte und demokratischen Errungenschaften entschlossen zu verteidigen.

Der Film beleuchtet das Leben des jüdischen Schriftstellers Walter Kaufmann, dessen Eltern in Auschwitz ermordet wurden, und der selbst durch den Kindertransport nach England gerettet wurde. Romanautor, Seemann, Korrespondent und politischer Aktivist: Im Leben des in Berlin geborenen und im Alter von 97 Jahren gestorbenen Walter Kaufmann spiegeln sich auf einzigartige Weise historisch bedeutende Ereignisse wieder.

Er war ein Mann, der die Welt, begreifen, beschreiben, verändern wollte. Nach langen Jahren des Exils in Australien entschied er sich 1956 bewusst für ein Leben in der DDR. Dank seines australischen Passes, den er zeit seines Lebens behielt, bereiste er als wahrer Kosmopolit die ganze Welt. Der Film folgt seinen wesentlichen Lebenslinien: den katastrophalen Folgen des Nationalsozialismus, der Bürgerrechtsbewegung in den USA, dem Prozess gegen Angela Davis, der Revolution in Kuba, den Atombombenabwürfen in Japan, der unendlichen Geschichte des israelisch-palästinensischen Konfliktes, dem Zusammenbruch der DDR. Alles Themen, die uns bis heute beschäftigen.

Im Film wird auf imponierende Weise deutlich, wie Walter Kaufmann bis zu seinem letzten Atemzug gegen den erschreckenden Rechtsruck, sowie zunehmenden Rassismus und Antisemitismus unserer Tage kämpfte.

Der Film verwebt eindrucksvoll biografische Berichte, historische Aufnahmen, private Briefe und literarische Texte zu einem bewegenden Zeitdokument. Er beleuchtet zentrale Themen wie Exil und Identität, Verfolgung und Überleben, politisches Engagement, persönliche Verantwortung sowie Versöhnung und stellt zugleich immer wieder die Frage, was Geschichte heute mit uns zu tun hat. Ein berührendes Porträt eines außergewöhnlichen Menschen, ein wichtiger Beitrag im Rahmen lebendiger Erinnerungskultur.“

Weltpremiere Jüdisches Filmfestival Berlin Brandenburg August 2021; Dokumentarfilmwettbewerb Filmkunstfest Schwerin September 2021; Öffentliche Präsentation Leipziger Filmkunstmesse September 2021

http://www.walterkaufmannfilm.de

Die Hiroshima-Panels

Die Maruki-Galerie für die Hiroshima-Panels wurde mit einem einzigen Ziel vor Augen gebaut: sicherzustellen, dass jeder jederzeit die Hiroshima-Panels sehen kann, die vom Ehepaar Iri und Toshi Maruki erstellt wurden.

Iri und Toshi waren Augenzeugen der Folgen des Atombombenabwurfs auf Hiroshima und begannen Ende der 1940er Jahre mit der Zusammenarbeit an ihrem charakteristischen Werk, den Hiroshima-Panels, zu einer Zeit, als Informationen über die Atombombenabwürfe durch die durchgesetzte Zensur noch streng eingeschränkt waren von US-geführten Besatzungstruppen. Die Marukis verbrachten während der Besatzung und in den folgenden Jahrzehnten viele Jahre damit, zu reisen und ihre Werke in verschiedenen Wechselausstellungen auszustellen (mit Veranstaltungsorten wie Bürgerzentren, Tempeln und Schulturnhallen), bevor sie ihre eigene Galerie zur Unterbringung der Hiroshima-Tafeln gründeten. 

Zusätzlich zu ihren nuklearbezogenen Werken arbeiteten die Marukis im Laufe ihrer Karriere weiterhin an einer Reihe von Kunstwerken zusammen, die sich umfassender mit Krieg, Umweltverschmutzung und anderen Formen der Gewalt befassen.

Die Hiroshima Panels (I) – (XIV) sind dauerhaft in der Maruki Gallery ausgestellt.
* Die Hiroshima Panels (XV) “Nagasaki” sind im Atombombenmuseum Nagasaki ausgestellt.

Wir haben unseren Onkel durch die Atombombe verloren. Zwei junge Nichten wurden getötet. Unsere jüngere Schwester erlitt Verbrennungen und unser Vater starb nach sechs Monaten. Viele Freunde und Bekannte kamen ums Leben. Iri fuhr drei Tage nach dem Bombenabwurf mit dem ersten Zug von Tokio nach Hiroshima. Toshi folgte einige Tage später. Etwas mehr als zwei Kilometer vom Zentrum der Explosion entfernt stand noch das Haus der Familie.

Aber das Dach und die Dachziegel und Fenster wurden durch die Explosion weggeblasen, zusammen mit Pfannen, Schalen und Essstäbchen aus der Küche. Dennoch blieb das verbrannte Bauwerk bestehen, und dort hatten sich zahlreiche Verletzte versammelt und lagen von Wand zu Wand auf dem Boden. Wir trugen die Verletzten, verbrannten die Toten, suchten nach Nahrung und fanden verbrannte Blechplatten, um das Dach zu flicken. Mit dem Gestank des Todes und Fliegen und Maden um uns herum wanderten wir umher, genau wie diejenigen, die die Bombe erlebt hatten.

Anfang September kehrten wir nach Tokio zurück und erfuhren mit Sicherheit, dass der Krieg zu Ende war. In Hiroshima hatten wir die Kraft verloren, darüber nachzudenken, ob der Krieg zu Ende war oder nicht. Es vergingen drei Jahre, bis wir begannen, die Hiroshima-Panels zu bemalen. Wir zogen unsere Kleidung aus, um an Bilder aus dieser Zeit zu erinnern und sie zu zeichnen, und andere stimmten zu, für uns zu posieren, weil wir die Atombombe bemalten. Wir begannen darüber nachzudenken, wie ein 17-jähriges Mädchen eine Lebensspanne von 17 Jahren hatte und wie das Leben eines 3-jährigen Kindes drei Jahre gedauert hatte.

Für das erste Gemälde haben wir rund neunhundert menschliche Figuren, darunter auch die Skizzen, gemalt. Wir dachten, wir hätten eine große Anzahl gemalt, aber in Hiroshima starben bis zu 140.000 Menschen. Als wir weiter malten und für die Seelen der Toten beteten, in der Hoffnung, dass es nie wieder passieren wird, wurde uns klar, dass wir sie nie alle malen könnten, selbst wenn wir unser ganzes Leben lang malen würden. Eine Atombombe in einem Augenblick verursachte den Tod von mehr Menschen, als wir jemals darstellen konnten. Langanhaltende Radioaktivität und Strahlenkrankheit führen dazu, dass Menschen auch jetzt noch leiden und sterben. Das war keine Naturkatastrophe. Während wir durch unsere Gemälde malten, gingen uns diese Gedanken durch den Kopf.

Maruki Iri
Maruki Toshi

ICH
Geister

Es war eine Prozession von Geistern.
Die Kleidung brannte im Handumdrehen. Hände, Gesichter, Brüste schwollen an; bald platzten violette Blasen und die Haut hing wie Lumpen.
Eine Prozession von Geistern, die Hände vor sich gehalten. Sie zogen ihre zerrissene Haut mit sich, fielen erschöpft, stapelten sich ächzend aufeinander und starben.
Im Zentrum der Explosion erreichte die Temperatur sechstausend Grad. Ein menschlicher Schatten wurde auf Steinstufen geätzt. Verdampfte der Körper dieser Person? War es hin und weg? Niemand bleibt übrig, um uns zu sagen, wie es in der Nähe des Hypozentrums war.
Es gab keine Möglichkeit, ein verkohltes, blasiges Gesicht von einem anderen zu unterscheiden. Stimmen wurden ausgedörrt und heiser. Freunde würden ihre Namen sagen, sich aber trotzdem nicht wiedererkennen.
Ein einsames Baby schlief unschuldig und hatte eine wunderschöne Haut. Vielleicht überlebte es, geschützt durch die Brust seiner Mutter. Wir hoffen, dass zumindest dieses eine Kind erwacht, um weiterzuleben.

1950 Sumi Tinte, Kohle oder Conte auf Papier
180 × 720 cm

II
Feuer

“Pika!” Ein kräftiger blau-weißer Blitz. Die Explosion, der Druck, der Feuersturm nie auf der Erde oder im Himmel hatte die Menschheit eine solche Explosion erlebt. Im nächsten Moment brachen Flammen aus und sprangen himmelwärts. Das Feuer brach die Stille über den grenzenlosen Ruinen und brüllte.
Einige lagen bewusstlos da und wurden von heruntergefallenen Balken festgehalten. Andere, die wieder zu Sinnen kamen, versuchten, sich zu befreien, wurden jedoch von dem purpurroten Feuer umhüllt.
Glasscherben durchbohrten Bäuche, Arme wurden verdreht, Beine knickten ein, Menschen stürzten und verbrannten bei lebendigem Leibe.
Eine Frau umarmte ihr Kind und kämpfte darum, sich unter einem umgestürzten Pfosten zu befreien.
“Beeilen Sie sich! Beeilen Sie sich!” Jemand rief. “Es ist zu spät.” “Dann gib uns das Kind.” “Nein, du rennst. Ich werde mit meinem Kind sterben. Sie würde nur noch durch die Straßen wandern.”
Die Frau schob die helfenden Hände weg und wurde von den Flammen verzehrt.

1950 Sumi Tinte, Pigment, Leim, Kohle oder Conte auf Papier
180 × 720 cm

III
Wasser

In der Mitte des Hügels befanden sich Berge von Leichen, die mit Köpfen aufgetürmt waren. Sie waren so gestapelt, dass ihre Augen, Münder und Nasen so wenig wie möglich zu sehen waren.
In einem noch unbebauten Hügel bewegte sich der Augapfel eines Mannes und starrte. Lebte er noch? Oder hatte eine Made sein totes Auge bewegt?
Wasser! Wasser! Die Menschen wanderten umher und suchten nach Wasser. Auf der Flucht vor den Flammen weinend nach Wasser, um ihre sterbenden Lippen zu benetzen. Eine verletzte Mutter floh mit ihrem Kind ans Flussufer. Sie schlüpfte in tiefes Wasser und kletterte an den Untiefen entlang. Als das wütende Feuer den Fluss verschlang und hin und wieder anhielt, um ihr Gesicht zu benetzen, rannte sie weiter, bis sie schließlich an diese Stelle kam. Sie bot ihrem Kind eine Brust an und stellte fest, dass sie ihren letzten Atemzug getan hatte.
Das Bild von Madonna und Kind aus dem zwanzigsten Jahrhundert: eine verletzte Mutter, die ihr totes Kind wiegt. Ist das nicht ein Bild der Verzweiflung? Mutter und Kind sollen, müssen ein Symbol der Hoffnung sein.

1950 Sumi Tinte, Kohle oder Conte auf Papier
180 × 720 cm

IV
Regenbogen

Ein nackter Soldat stand nur mit Stiefeln und Schwert da. Junge Soldaten mit gebrochenen Armen und zerquetschten Beinen. Die Verletzten liefen ziellos, ihre zerlumpte Haut war mit Decken bedeckt.
Es gab keinen Ton, nur Totenstille. Dann zeigte ein verrückter Soldat zum Himmel und schrie immer und immer wieder, “Ein Flugzeug! A B-29!” Es war kein Schatten eines Flugzeugs zu sehen. Verletzte Pferde, rasende Pferde liefen amuck.
Amerikanische Flieger, die kamen, um Japan zu bombardieren, waren festgenommen und in einer Hiroshima-Kaserne untergebracht worden. Die Atombombe tötete Freund und Feind gleichermaßen. Zwei Soldaten lagen zerknittert auf der Straße in der Nähe der Kuppel, ihre Handgelenke noch gefesselt.
Der hoch in die Luft geblasene Rauch und Staub bildete eine Wolke, und bald strömten große Regentropfen vom ansonsten klaren Himmel herab. Ein Regenbogen wölbte sich über diese geschwärzte Kuppel. Der siebenfarbige Regenbogen glänzte mit Brillanz.

1951 Sumi Tinte, Pigment, Leim, Kohle oder Conte auf Papier
180 × 720 cm

V
Jungen und Mädchen

Sie lagen tot in Haufen am Flussufer und zeigten mit dem Kopf auf das gesuchte Wasser. Als sie den Fluss erreicht hatten, blieb das Wasser unterhalb des Steilufers unerreichbar und sie starben mit ungelöschtem Durst.
Schulkinder wurden mobilisiert, um beim Bau von Brandschneisen zu helfen. Viele Klassen wurden vollständig vernichtet.
Zwei Schwestern hielten sich gegenseitig die verwandelten Figuren. Andere junge Mädchen starben ohne Kratzer am Körper.
Als er dieses Gemälde sah, erzählte uns ein Zimmermann, der der Bombe ausgesetzt war, “Meine Tochter ist die einzige Überlebende ihrer Klasse. Aber ihre Finger waren zusammengedreht und verbrannt, ihr Gesicht verschmolz mit ihrer Kehle und sie kann nicht gehen. Ihr Körper ist seitdem nicht mehr gewachsen, als sie dreizehn Jahre alt war.”

1951 Sumi Tinte, Kohle oder Conte auf Papier
180 × 720 cm

VI
Atomwüste

Nichts zu essen, keine Medizin. Kein Schutz vor dem fallenden Regen. Kein Strom, keine Zeitungen, kein Radio, keine Ärzte. Maden brüteten auf Leichen und Verwundeten, Fliegenwolken wimmelten und summten. Der Geruch von Leichen hing am Wind.
Die Menschen wurden nicht nur körperlich verletzt, auch ihre Stimmung war tief verletzt.
Eine Frau, die nicht darauf achtete, ihre zerlumpte Haut zu bedecken, suchte nach ihrem Kind. Sie wanderte tagelang umher.
Auch heute noch werden in Hiroshima manchmal menschliche Knochen ausgegraben.

1952 Sumi Tinte, Pigment, Leim, Kohle oder Conte auf Papier
180 × 720 cm

VII
Bambushain

Viele suchten Schutz in einem Bambushain. —Es war kein Erdbeben, aber was war es? —Könnte es eine Ansammlung von Brandbomben gewesen sein? —Es war eine Bombe, nein, ein Todesstrahl. —Auf jeden Fall gab es ein Flash—pika—dann ein dröhnendes Donner—don. —Nr. In Hiroshima haben wir keinen Donner gehört. Es war so groß, es gab nur einen Blitz.
Sie sprachen weiter über diesen Moment. Am Stadtrand von Hiroshima gab es viele Bambushaine, und die Atombombe verbrannte den Bambus auf einer Seite. Die Obdachlosen suchten in den Hainen Zuflucht. Und einer nach dem anderen hauchten sie ihren letzten Atemzug.
Die Leute riefen uns um Hilfe, aber uns fehlte der Mut, zu ihnen zu gehen. In unserem Haus war kein Platz mehr für Verletzte.
Unter der Mitaki-Brücke befand sich ein Leichenhaufen. Eine Person, die dort hockte, schien am Leben zu sein, aber wir konnten weder Alter noch Geschlecht erkennen. Am Morgen des 26. August fiel der Kopf der Person nach vorne und sie starb. Die Bombe wurde am 6. August abgeworfen, sodass diese Person zwanzig Tage lang schweigend durchgehalten hatte. Es gab niemanden, der diese Leichen entsorgen konnte, und sie wurden erst bewegt, als ein Taifun im September sie ins Meer spülte.

1954 Sumi Tinte, Kohle oder Conte auf Papier
180 × 720 cm

VIII
Entlastung

Die Feuer brannten und brannten.
Menschen vom Land kamen, um nach Verwandten zu suchen, und führten sie aus der Stadt hinaus. Viele starben unterwegs.
Lange Schlangen wurden gebildet, um Rationen zu erhalten. Ein Mädchen starb in der Nähe und hielt immer noch ihre Portion Hartschrott in der Hand.
In den Körpern der Eltern des Mannes unserer Schwester waren Glasscherben eingelassen. Ihre Knöchel schwollen so groß an wie ihre Oberschenkel. Sie hatten in unserem Haus Zuflucht gesucht und wir beschlossen, sie zu ihrem ältesten Sohn zu bringen. Wir stellten sie auf einen Karren und zogen ihn bis nach Kaita, wobei wir durch das Zentrum der Explosion fuhren. Es regnete sanft.
Nach der Bombe regnete es oft in Hiroshima. Obwohl es August war, folgte ein kalter Tag auf den anderen.
Jemand hat es uns unter Schluchzen gesagt, “Ich habe meine Mutter verlassen. Ich weinte, ‘Verzeihen Sie mir!’” In dem hektischen Fluchtversuch mussten sich Ehefrauen und Ehemänner im Stich lassen, Eltern mussten ihre Kinder im Stich lassen.
Es vergingen viele Tage, bis die Hilfe organisiert wurde.

1954 Sumi Tinte, Pigment, Leim, Kohle oder Conte auf Papier
180 × 720 cm

IX
Yaizu

Die erste Atombombe wurde 1945 auf Hiroshima abgeworfen, gefolgt von einer zweiten Bombe auf Nagasaki.
1954 explodierte eine Wasserstoffbombe auf dem Bikini-Atoll. Die Besatzung der Daigo Fukuryu Maru, einem Fischerboot aus dem Hafen von Yaizu, wurde mit der Asche des Todes überschüttet. Sechs Monate später starb Kuboyama Aikichi. Dreimal sind die Japaner Atomwaffen zum Opfer gefallen.

[Nachwort, Mai 1983]
Nicht nur die Japaner, sondern auch Mikronesier in der Nähe des Bikini-Atolls wurden mit den tödlichen Folgen der Wasserstoffbombe bestäubt. Die gesamte Insel war verschmutzt. Diejenigen, die flohen, kehrten später in ihre Heimat Bikini zurück, nur um durch die Reststrahlung an Krebs und Leukämie zu erkranken. Viele leiden noch.
Yaizu und Bikini—a teilten das Schicksal.

1955 Sumi Tinte, Pigment, Kleber, Kohle oder Conte auf Papier
180 × 720 cm

X
Petition

Stoppt die Atombombe! Stoppen Sie die Wasserstoffbombe! Schluss mit dem Krieg!
Der Reiz der Mütter im Tokyoer Suginami Ward breitete sich in ganz Japan aus. Kinder, Mütter, Väter, Älteste und Arbeiter aller Art unterzeichneten die Petition.
Zum ersten Mal wurde dem gedämpften Schrei des Volkes eine Stimme gegeben und Millionen unterzeichneten die Petition für den Frieden.

1955 Sumi Tinte, Pigment, Kleber, Kohle oder Conte auf Papier
180 × 720 cm

XI
Mutter und Kind

Eltern waren gezwungen, unter umgestürzten Häusern festsitzende Kinder, verlassene Kinder, verlassene Ehemänner, verlassene Ehefrauen und Ehefrauen-Ehemänner im Stich zu lassen, alles auf hektischer Flucht vor dem Feuer. Das war zur Zeit der Atombombe Realität.
Doch mitten darin wurden viele Zeuge des wundersamen Anblicks überlebender Kinder, die fest in ihren toten Müttern und Armen gehalten wurden.

1959 Sumi Tinte, Pigment, Leim, Kohle oder Conte auf Papier
180 × 720 cm

XII
Schwimmende Laternen

Am 6. August füllen sich die sieben Flüsse von Hiroshima mit schwimmenden Laternen, auf denen die Namen von Vätern, Müttern und Schwestern eingraviert sind.
Die Flut ändert sich, bevor die Laternen das Meer erreichen, und sie werden vom Wellengang in die Stadt zurückgefegt. Jetzt erloschen, treibt die Masse der zerknitterten Laternen in den dunklen Strömungen des Flusses.
An diesem Tag flossen in der Vergangenheit dieselben Flüsse dicht mit Leichen.

1968 Sumi Tinte, Pigment, Leim, Kohle oder Conte auf Papier
180 × 720 cm

XIII
Tod der amerikanischen Kriegsgefangenen

Etwa dreihunderttausend Japaner starben durch die Atombomben, die Sie abgeworfen hatten. Aber Ihre Atombomben töteten auch dreiundzwanzig Jugendliche aus Ihrem eigenen Land. Amerikaner, die vor der Bombardierung Hiroshimas bei Luftangriffen von B-29 mit dem Fallschirm abgeworfen hatten, wurden dort als Kriegsgefangene festgehalten. Einige sagten, es gäbe auch weibliche Kriegsgefangene.
Wir fragten uns, wie sie aussahen, als sie starben, welche Kleidung, welche Schuhe sie trugen.
Wir gingen nach Hiroshima und waren schockiert über das, was wir entdeckten. Da die amerikanischen Kriegsgefangenen in unterirdischen Unterkünften nahe der Explosionsmitte festgehalten wurden, wären sie wahrscheinlich bald gestorben. Oder vielleicht haben einige gelebt. Doch bevor ihr Schicksal bekannt werden konnte, schlachteten Japaner sie ab, erfuhren wir.
Wir zitterten, als wir den Tod der amerikanischen Kriegsgefangenen malten.

[Anmerkung des Herausgebers]
Juni 2019: Schätzungen zufolge belief sich die Gesamtzahl der Todesopfer durch die Atombomben bis Ende 1945 in Hiroshima auf etwa 140.000 und in Nagasaki auf etwa 74.000. Diese Schätzungen stammen jedoch aus der Zeit um 1976 oder 1977; Früher ging man davon aus, dass allein in Hiroshima mehr als 200.000 Menschen gestorben seien. Über die Zahl der Menschen, die nach 1945 durch die Auswirkungen der Bomben ums Leben kamen, gibt es noch keine genauen Zahlen. Man geht heute allgemein davon aus, dass in Hiroshima 12 amerikanische Kriegsgefangene starben, obwohl früher angenommen wurde, dass die Zahl bei 23 lag. Es wurde gemunkelt, dass einige der Kriegsgefangenen Frauen seien, was jedoch nicht bestätigt wurde. Es gibt zahlreiche Augenzeugenberichte über einen Kriegsgefangenen, der an einen Pfosten am östlichen Ende der Aioi-Brücke gefesselt war, und über Menschen, die Steine auf ihn warfen.

1971 Sumi-Tinte auf Papier
180 × 720 cm

XIV
Krähen

Japaner und Koreaner sehen sich ähnlich. Wie könnte man ein gnadenlos verbranntes Gesicht von einem anderen unterscheiden?
“Nach der Bombe waren die letzten Leichen, die beseitigt wurden, die Koreaner. Viele Japaner überlebten die Bombe, aber nur sehr wenige Koreaner. Wir konnten nichts tun. Krähen kamen geflogen, viele von ihnen. Die Krähen kamen und fraßen die Augäpfel der koreanischen Leichen. Sie aßen die Augäpfel.” (Aus den Schriften von Ishimure Michiko.)
Koreaner wurden diskriminiert, sogar im Tod. Japaner diskriminierten, sogar Leichen. Beide waren asiatische Opfer der Bombe.
Wunderschöner Chima und Chogori, flieg zurück nach Korea, in den Himmel über die Heimat. Wir bieten dieses Gemälde demütig an. Wir beten.
Etwa fünftausend Koreaner starben massenhaft in Nagasaki, wohin sie als Zwangsarbeiter für die Mitsubishi-Werften gebracht worden waren. Ähnliche Geschichten gibt es über Koreaner in Hiroshima.
Allein in Südkorea leben heute fast fünfzehntausend Hibakusha, ohne dass ihr Status als Überlebende einer Atombombe offiziell anerkannt wird.

[Anmerkung des Herausgebers]
Juni 2019: Die Stadt Nagasaki schätzt, dass in Nagasaki zwischen 1400 und 2000 Koreaner der Bombe ausgesetzt waren. Die Gesamtzahl der außerhalb Japans lebenden Hibakusha ist nicht bekannt. Nach Angaben des Ministeriums für Gesundheit, Arbeit und Soziales wurden bis 2018 etwa 3.200 Menschen außerhalb Japans Atombombenüberlebendenzertifikate ausgestellt.

1972 Sumi-Tinte auf Papier
180 × 720 cm

XV
Nagasaki

In der Sammlung des Atombombenmuseums Nagasaki

Die Zielstadt Kokura war von dichten Wolken bedeckt, und die beiden B-29 flogen weiter zum Ausweichziel, dem Hafen von Nagasaki. Auch hier war die Sicht schlecht, so dass die Atombombe auf das Mitsubishi-Stahlwerk am Rande der Stadt abgeworfen wurde.
Die Bombe explodierte direkt über der katholischen Kathedrale in Urakami und tötete die Priester und diejenigen, die sich dort zum Gottesdienst versammelt hatten. Die Toten waren in endlosen konzentrischen Kreisen verstreut, mit der Kathedrale in der Mitte.
Die Nagasaki-Bombe bestand aus Plutonium und war stärker als die Hiroshima-Bombe. Noch eine Atombombe. Nagasaki war am Boden zerstört. Einhundertvierzigtausend Menschen starben.

1982 Sumi Tinte, Pigment, Leim, Kohle oder Conte auf Papier
180 × 720 cm

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© 1999-2025 Maruki-Galerie für die Hiroshima-Panels

Wer hat denn das erdacht: Israel als Kolonialmacht

Deutsche „Staatsraison“ unterstützt Israel wo es kann. Veröffentlichte Kritik an der genozidalen Tötung unschuldiger Palästinenser im Gaza-Krieg, insbesondere verhungernder Kinder wird seitens deutscher Amtsinhaber konsequent irreführend als „antisemitisch“ denunziert und auch strafrechtlich verfolgt. Zu israelischen Bomben auf iranische und syrische Ziele schweigen deutsche Dienststellen. Kommentare in deutschen „Leitmedien“ sind zurückhaltend bis verständnisvoll.

Das 1949 durch einen einjährigen Krieg gegen die arabischen Einwohner entstandene und von der UNO anerkannte Israel befand sich seitdem in 13 Kriegen gegen arabische Staaten:

https://de.frwiki.wiki/wiki/Liste_des_guerres_d%27Isra%C3%ABl

Bereits seit der Staatsgründung wurden Ideen zur Erweiterung des Staatsgebietes zu offiziellen Zielen der Regierungspolitik. Dafür nutzte man die religiösen und politischen Spannungen zwischen den muslimischen Staaten in der ganzen Region Nahost, wie der Artikel „Von Damaskus bis Gaza: Die Doktrin der Vorherrschaft Israels hat einen grundlegenden Fehler“ belegt:

Die in diesem Artikel erwähnten „Abraham Abkommen“ von 2020, deretwegen die arabischen Staaten anscheinend so zurückhaltend sind, haben natürlich eine lange diplomatische Vorgeschichte:

https://de.wikipedia.org/wiki/Friedensvertrag_zwischen_Israel_un

Daraus: „Die neue Ordnung besagt, dass man nicht auf die 

Palästinenser warten muss, um Frieden zu schließen. Dieses Abkommen bringt die arabischen und muslimischen Länder näher an uns heran, die eine geschlossene Front gegen den Iran gebildet haben.“

– Benjamin Netanjahu: laut Arutz Sheva[6]

Die wirtschaftlich Zusammenarbeit mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) umfasst Finanzen, eine Freihandelszone und militärische Unterstützumg bis hin zur Lieferung von Militärflugzeugen.

Präzedenzfall: Richter in Brüssel ordnet Stopp von allen Waffenlieferungen an Israel an

Weil das Unbehagen – ja, nicht nur die Irritation sondern auch die politische Spaltung – angesichts der israelischen Militär-Aktionen gegen die Bewohner des Gaza-Streifens ständig wächst, ist es nötig, diesen auf den Nachdenkseiten erschienen Beitrag komplett wiederzugeben:

Ein beispielloses Urteil eines Brüsseler Gerichts ordnete nicht nur an, dass die flämische Regierung eine bestimmte, für Israel bestimmte Lieferung von militärischer Ausrüstung stoppen muss, sondern verbot auch jede weitere Lieferung von Waffen in dieses Land. Das Urteil stellt einen Präzedenzfall dar, der in vielen anderen Ländern angewendet werden könnte. Von Marc Vandepitte.

Das Brüsseler Gericht erster Instanz hat die flämische Regierung angewiesen, einen für Israel bestimmten Container mit militärischer Ausrüstung sofort zu stoppen und jede weitere Waffenlieferung nach Israel zu verbieten.

Der Richter kam zu dem Schluss, dass Flandern – eine Region im Norden Belgiens – gegen seine Verpflichtungen im Rahmen der Waffengesetzgebung und internationaler Verträge verstößt, und verhängte ein Zwangsgeld für jede Lieferung, die noch erlaubt wird. Er gab vier flämischen Nichtregierungsorganisationen, die die Klage eingereicht hatten, in allen Punkten recht.

Der betreffende Container befindet sich im Hafen von Antwerpen. Er enthält Kegelrollenlager, die von der Firma Timken über eine französische Tochtergesellschaft hergestellt werden. Sie sind für Ashot Ashkelon Industries bestimmt, ein israelisches Rüstungsunternehmen. Es liefert Teile für Merkava-Panzer und Namer-Panzerfahrzeuge. Nach Angaben der klagenden Organisationen werden beide täglich in Gaza eingesetzt.

Das Gerichtsurteil verbietet es der flämischen Regierung, weitere Transfers nach Israel zu genehmigen.

Seit 2009 gibt es eine Vereinbarung, keine Waffen nach Israel zu exportieren, die dessen Streitkräfte stärken könnten, aber in der Praxis wurde dies systematisch ignoriert.

Um die Einhaltung des Urteils zu garantieren, verhängt das Gericht eine Geldstrafe von 50.000 Euro für jede Lieferung, die weiterhin nach Israel genehmigt wird.

Exporte können nur dann genehmigt werden, wenn die flämische Regierung den Nachweis erbringt, dass die Produkte für zivile Zwecke verwendet werden. Laut der Rechtsanwältin Lies Michielsen vom PROGRESS Lawyers Network, die den Fall vertritt, bedeutet das Urteil, dass die Regierung den endgültigen Verwendungszweck des nach Israel exportierten Materials aktiv überprüfen muss.

Bedeutung

Diese Entscheidung ist sehr wichtig, weil das Gericht bestätigt, dass es illegal ist, die Lieferung von Waffen an einen Staat zu ermöglichen, der Kriegsverbrechen oder sogar Völkermord begeht.

„Das Gericht bestätigt, was Politiker sich weigern, anzuerkennen“, sagt Fien De Meyer von der Liga für Menschenrechte.

Dies bedeutet das Ende der Straffreiheit: Regierungen können nicht länger wegschauen, während ihre Waffen für Gräueltaten eingesetzt werden.

Das Urteil schafft einen juristischen Präzedenzfall, der Regierungen zwingt, Verantwortung zu übernehmen. Es wird erwartet, dass ähnliche Klagen in anderen Ländern folgen werden.

Folgemaßnahmen

Fast zur gleichen Zeit wurde in Belgien eine weitere Klage eingereicht, diesmal gegen die Bundesregierung. Eine Gruppe macht Belgien für seine passive Mitschuld am Völkermord in Gaza verantwortlich.

Die Initiative wird von einem palästinensischen Bürger, mehreren belgischen NGOs und einer Juristin unterstützt. Sie fordern, dass Belgien alle Militärlieferungen an Israel stoppt, Importe aus den besetzten palästinensischen Gebieten konfisziert, Investitionen in diesen Gebieten blockiert und das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und Israel aussetzt.

Den Klägern zufolge ist die Untätigkeit Belgiens sowohl moralisch als auch rechtlich inakzeptabel. Die Klage wird von Künstlern und Intellektuellen unterstützt, die Mittel zur Deckung der Prozesskosten sammeln.

Auf europäischer Ebene werden ebenfalls Maßnahmen ergriffen. Die juristische Nichtregierungsorganisation JURDI hat die EU-Kommission und den EU-Rat wegen ihrer „Fahrlässigkeit“ angesichts der Gewalt in Gaza vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt. Zum ersten Mal in der Geschichte werden diese beiden mächtigen Institutionen verklagt, weil sie ihren rechtlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen sind.

Die Organisation beruft sich auf Artikel 265 des EU-Vertrags, der Sanktionen für die Untätigkeit von Institutionen vorsieht. Nach Ansicht der NGO legen die europäischen Institutionen doppelte Maßstäbe an: Sie haben Russland hart sanktioniert, aber Israel nicht, trotz dokumentierter schwerer Menschenrechtsverletzungen.

JURDI fordert unter anderem die Aussetzung des EU-Israel-Abkommens, die Einstellung der Subventionen sowie Sanktionen gegen israelische Regierungsvertreter. Die Klage argumentiert, dass die EU rechtlich und moralisch verpflichtet ist, zu handeln, und weist darauf hin, dass auch führende europäische Politiker wegen Beihilfe zum Völkermord strafrechtlich verfolgt werden könnten.

Mittäterschaft

In diesen Fällen ist folgende Frage von grundlegender Bedeutung: Ist ein Land als Drittpartei oder, im weiteren Sinne, die Europäische Kommission rechtlich verpflichtet, Völkermord an einem anderen Ort zu verhindern? Nach der Völkermordkonvention ja. Laut diesem Vertrag muss jedes Land nicht nur bestrafen, sondern auch aktiv vorbeugen.

Im Januar forderte der Internationale Gerichtshof Israel bereits auf, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um einen Völkermord zu verhindern. Aber gilt diese Verpflichtung auch für Länder wie Belgien, die nicht direkt beteiligt sind?

Laut 18 führenden belgischen Juristen: ja. In einem Brief weisen sie darauf hin, dass ein Land wie Belgien Gefahr läuft, vor den Internationalen Gerichtshof gebracht zu werden, wenn es weiterhin zur Situation in Gaza schweigt. Untätigkeit kann rechtlich als Mittäterschaft gewertet werden.

Die Juristen fordern Sanktionen gegen Israel und sind der Meinung, dass die Aussetzung des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel das Mindeste ist, was getan werden muss. Die Länder verstecken sich nur allzu oft hinter diplomatischer Zurückhaltung, aber eine solche Haltung ist rechtlich und moralisch nicht mehr haltbar, argumentieren sie. Nur konkrete Taten, nicht Worte, könnten die Glaubwürdigkeit Belgiens und der EU retten.

Keine Ruhepause

Das in Flandern erzielte Urteil und andere laufende Klagen stellen einen qualitativen Sprung im Kampf gegen den Völkermord dar. Aber dieser Kampf ist noch lange nicht vorbei. Völkermord macht keine Pause. Während die Politiker zögern, leidet die Bevölkerung von Gaza.

Jetzt ist es an der Zeit, den Druck aufrechtzuerhalten und zu verstärken. Auch in anderen Ländern müssen Klagen eingereicht werden. Zu den wichtigsten Forderungen gehören die sofortige Umsetzung des Waffenexportverbots, volle Transparenz bei der Ausfuhr von Rüstungsgütern und die strafrechtliche Verfolgung derjenigen, die an diesen Verbrechen beteiligt sind.

Derartige Forderungen sind sehr wichtig, aber sie reichen sicher nicht aus, um die Massaker in Gaza zu beenden. Durch Massenproteste und Solidaritätsaktionen muss Druck auf die politisch Verantwortlichen in aller Welt ausgeübt werden.

Die palästinensischen Widerstandsbewegungen in Gaza haben deshalb einen gemeinsamen Aufruf zu einer weltweiten Mobilisierung ab dem 20. Juli 2025 gestartet, um die Bevölkerung von Gaza zu retten vor dem durch die israelische Besatzung verursachten Völkermord, Hunger und Durst.

Sie prangern das internationale Schweigen an und rufen Länder und Bürger in aller Welt dazu auf, auf die Straße zu gehen und zu handeln, um den Völkermord zu stoppen.

Der Artikel erschien im spanischen Original bei Rebelión – aus dem Spanischen übersetzt von Marta Andujo.

Titelbild: Shutterstock / Zerbor

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Mehr Demokratie? Ist machbar, Herr Nachbar!

Zur Zeit wird hierzulande viel über den Zustand unserer Demokratie diskutiert. Sehr oft wird beklagt, dass „die Politiker“ nach den Wahlen völlig anders handeln als im Wahlprogramm versprochen wurde. Im Grundgesetz-Artikel 20 gibt es für das Wahlvolk noch eine andere Möglichkeit:

Bei wichtigen Vorhaben das Volk abstimmen lassen, wie es zum Beispiel in der Schweiz gemacht wird, wäre doch sehr hilfreich, etwa zum Thema Wehrpflicht oder Aufweichung der Schuldenbremse.

Von der Initiative Abstimmung 21 erhielt ich gerade die Info-Mail zur Anmeldung an der Aktion Volksabstimmung 2025, die ich hiermit wunschgemäß weiterleite und empfehle:

https://r.infos.abstimmung21.de/mk/mr/sh/7xYEvjyWS1dhUAzGMYCweVT5BgAG8Si/cLXMjO7NyAK0