Überall ist Niederbayern – Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos

Niederbayerns Wirtschaft schlägt Alarm: Jetzt sind auch Jobs in Gefahr

Anmerkung: Die Situationsbeschreibung dieser Pressemitteilung trifft in allen angesprochenen Aspekten auch auf Korbach, Waldeck-Frankenberg, ja auf ganz Deutschland zu. Die jüngsten Wirtschafts-Gipfel-Inszenierungen der Ampel hätten also gespart werden können.

Die Grundstimmung in der Wirtschaft ist ähnlich schlecht wie zur Corona-Zeit, warnt die Industrie- und Handelskammer Niederbayern.

Passau (obx) – Der Arbeitsmarkt in Niederbayern steht vor einer Trendwende. In den vergangenen Jahren stieg die Zahl der Beschäftigten immer weiter. Doch in der aktuellen Konjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) Niederbayern zeigt sich: Mehr als jeder vierte Industriebetrieb in Niederbayern (28 Prozent) geht in den kommenden zwölf Monaten von einer rückläufigen Beschäftigtenzahl aus. Bereits jetzt passen immer mehr Betriebe ihre Kapazitäten durch Kurzarbeit oder längerfristig durch Personalabbau an.

Diese Entwicklung steht sinnbildlich für das Gesamtergebnis der neuesten IHK-Konjunkturumfrage, heißt es von der IHK Niederbayern. Der Konjunkturklimaindikator, der die aktuelle Lage sowie die Erwartungen für die Zukunft miteinander verknüpft, ist im Sinkflug und befindet sich demnach 16 Prozent unter dem Durchschnitt. Nur noch 34 Prozent aller befragten Unternehmen bewerten die Geschäftslage als gut, 19 Prozent bereits als schlecht.

Die Erwartungen für die Zukunft bereiten noch mehr Grund zur Sorge: Rund ein Drittel sieht jetzt schon massive Probleme für die Zukunft. „Die Gesamtstimmung in der Wirtschaft ist ähnlich schlecht wie zur Corona-Zeit“, sagt Alexander Schreiner, Hauptgeschäftsführer der IHK Niederbayern. Die negative Entwicklung betrifft alle Branchen, ist aber in der Industrie besonders ausgeprägt. Rund die Hälfte aller Unternehmen verzeichnet sinkende Auftragsvolumina. Auch hier stechen die Zahlen der Industriebetriebe hervor. Ganz gravierend sind die Zahlen im Fahrzeugbau, Zulieferbetriebe mit eingerechnet. Hier berichten knapp 95 Prozent von einem in den letzten sechs Monaten gesunkenen Auftragsvolumen, sowohl im In- als auch im Ausland. 56 Prozent der Fahrzeugbau-Unternehmen melden eine schlechte Geschäftslage, 68 Prozent gehen von sinkenden Beschäftigungszahlen aus.

„Der Wirtschaftsstandort Deutschland gerät im globalen Wettbewerb immer mehr ins Hintertreffen“, fürchtet Niederbayerns IHK-Präsident Thomas Leebmann. Ursächlich sind nach seinen Worten dafür vor allem die sich weiter verschlechternden Rahmenbedingungen, die die Unternehmen in Deutschland vorfinden: Hohe Arbeits- und Energiekosten und überbordende Bürokratie. Hinzu komme inzwischen eine schwächelnde Nachfrage im In- und Ausland.

Nicht nur in der Industrie lassen die Zahlen die Alarmglocken läuten. So macht die Konsumzurückhaltung der Verbraucher etwa dem Handel schwer zu schaffen. Mehr als 80 Prozent der Befragten beklagen ausbleibende Kunden – so viele wie in keiner anderen Branche. Selbst das bevorstehende Weihnachtsgeschäft scheint die Stimmung nicht zu heben. Obwohl die Kaufkraft der Haushalte durch Lohn- und Gehaltssteigerungen in Kombination mit rückläufigen Inflationsraten theoretisch gestiegen ist, bleiben die Umsatzerwartungen laut Umfrage überwiegend pessimistisch.

Im Tourismusgewerbe klaffen die gegenwärtige Geschäftslage und die Erwartungen für die Zukunft weit auseinander. Obwohl die aktuelle Situation als recht positiv beschrieben wird, wird für das kommende Jahr nahezu einhellig mit Einbußen gerechnet.

Wo der Daumen links ist?

Abgeschrieben aus: junge Welt, Ausgabe vom 06.09.2024, Seite 12 / Thema

Die Jugend und die AfD – Wo der Daumen links ist?

Wie tickt die Jugend? Über junge Wähler, Rechtsruck und den Extremismus der Mitte

Von Michael Klundt

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Da ist einiges durcheinandergeraten. Vorgeblich friedensliebende junge Faschisten (Wahlkampfabschluss der Thüringer AfD auf dem Erfurter Domplatz, 31.8.2024) Foto: Po-Ming Cheung

Michael Klundt ist Professor für Kinderpolitik im Fachbereich Angewandte Humanwissenschaften der Hochschule Magdeburg-Stendal.

Es ist bitter zu erleben, dass viele (junge) Menschen, die berechtigterweise – nicht (nur) wegen falscher Kommunikation der Regierenden – mit der Politik der Bundesregierung und deren Auswirkungen unzufrieden sind, sich ausgerechnet eine rassistische Partei als »Alternative für Deutschland« aussuchen; eine Partei, die Zeit ihres Bestehens immer gegen einen armutsfesten Mindestlohn, gegen eine Vermögensteuer, gegen eine Bürgerversicherung, für Aufrüstung, für die Wehrpflicht, für den Gazakrieg und mehr Geld für das Militär eintritt; eine Partei, die den sozialen Rechtsstaat noch radikaler zerstören will, als das die übrigen Parteien bereits vorangetrieben haben.

Was ist links?

Wer indes wissen will, wie »rechts« die deutsche Jugend ist, muss sich zunächst seines eigenen Koordinatensystems vergewissern. Denn für jung und alt ist da seit einiger Zeit einiges ganz schön unübersichtlich geworden. Was bedeutet es zum Beispiel für sich als links verstehende Menschen, wenn sie hören, dass ein renommierter marxistischer Gelehrter inzwischen von sich sagt: »Ich bin nicht links, ich bin Kommunist.« In der Wochenzeitung Freitag vom 4. März 2022 schrieb der Politikwissenschaftler Georg Fülberth kurz nach dem Beginn des Ukraine-Krieges Ende Februar 2022: »Am 25. Februar fand eine Sondersitzung des Bundestags statt. Die Linkspartei lehnt Waffenexporte in die Ukraine und die Erhöhung der Rüstungsausgaben ab, nicht aber Sanktionen. Amira Mohamed Ali, die Kovorsitzende der Linksfraktion, machte Vorschläge für deren Feinjustierung. Die jahrzehntelange NATO-Osterweiterung kritisierte sie nicht. Dies überließ sie der AfD-Abgeordneten Alice Weidel und auch anderen Rednern von deren Fraktion, die in diesem Punkt – zugleich kontaminiert durch Forderungen nach Hochrüstung und Rückkehr zur Atomkraft – die Oppositionsführung übernahm, anstelle der Linkspartei.«¹

Fangen wir also mit der Ordnung unserer Begriffe an.² Was ist links? »Links« soll sein der Einsatz für soziale Gleichheit und Gerechtigkeit, für Demokratisierung und für Abrüstung sowie friedliche Koexistenz im Geiste internationaler Solidarität.

Was ist rechts?

»Rechts« soll sein der Einsatz oder die Akzeptanz für soziale Ungleichheit, für autoritäre Bevormundung der Mehrheit der Bevölkerung und für militärische Aufrüstung sowie national-egoistische Herrschafts- und Machtpolitik im Geiste internationaler Konkurrenz und des Kampfes gegen andere Staaten.

Was davon zeichnet die Ampelregierung aus und was die Oppositionsparteien? Wie viel davon wird von wissenschaftlichen Studien operationalisiert, erfragt und von einflussreichen Medien berichtet? Um dem nachzugehen, wird im folgenden die Thematisierung diverser Jugendstudien in Deutschland 2024³ in verschiedenen Leitmedien betrachtet. Doch zunächst geht es um die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen je nach Altersgruppen.

Die AfD gewinnt

Am 1. September 2024 sind alle vorherigen Befürchtungen eingetreten. Die AfD hat bei jung und alt enorm hinzugewonnen, so dass von einem regelrechten Rechtsruck die Rede ist. Die Stimmen für die AfD bei den Jungwählern sind zum Teil nicht (wesentlich) höher als bei den anderen Altersgruppen. So hatte laut Wählernachbefragung durch Infratest Dimap die AfD in Sachsen insgesamt 31 Prozent erhalten (plus drei im Vergleich zu 2019); die 18- bis 24jährigen wählten die AfD ebenfalls zu 31 Prozent (plus elf). In Thüringen erhielt die AfD insgesamt 33 Prozent (plus zehn), während 18- bis 24jährige sie zu 38 Prozent wählten (plus 15). Der Anstieg im Verhältnis zu den letzten Landtagswahlen 2019 ist also bei den Jungwählern deutlich steiler als bei den anderen Altersgruppen. Allerdings haben in Sachsen einige ältere Wählergruppen noch höhere AfD-Werte erzielt, und in Thüringen lagen die meisten anderen Altersgruppen mit 36 bis 37 Prozent eher auf der Höhe der Jungwähler. Die einzige Altersgruppe, die deutlich weniger AfD gewählt hat, waren in beiden Bundesländern die über 70jährigen (Sachsen: 24 Prozent, plus drei) und in Thüringen 19 Prozent (plus sechs).⁴

Etwas leiser als im Frühjahr und nach den Wahlen zum EU-Parlament im Juni 2024 sind nun vor diesem Hintergrund die Stimmen, die vor allem die jugendlichen Rechtswähler betonen und gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge ausblenden.⁵ Solcherart wurde und wird dann häufig auch »die Jugend ist rechts« oder »die Jugend wählt rechts« behauptet, obwohl zumindest eine große Mehrheit der Jungwähler gerade nicht AfD gewählt hat (zumindest deutlich mehr als 60 Prozent). Diese Form der Pauschalisierung erfüllt offenbar eine gewisse gesellschaftspolitische Entlastungsfunktion. Die Pauschalisierer müssen weniger über Erwachsene, Eltern und eigene journalistische, politische, wissenschaftliche und pädagogische Verantwortung für diese Entwicklung nachdenken. Es reicht, alle Probleme auf »die Jugend« zu projizieren. Dass in der Augsburger »Jugendwahlstudie 2024« 65 Prozent der ostdeutschen und 74 Prozent der westdeutschen Jugendlichen von Angst vor der AfD berichteten, dass in der Jugendstudie vom Frühjahr »Jugend in Deutschland 2024« unter anderem 44 Prozent der Befragten große Sorgen wegen des Aufstiegs rechtsextremer Parteien äußerten,⁶ wird dadurch einfach ausgeblendet. Die pauschale Aussage »die Jugend wählt rechts« über eine ganze Generation unterschlägt schlicht diesen Sachverhalt und ist undifferenziert.

Richtig ist: Ein wachsender Teil der Jugend wählt rechts. Deshalb ist es aber auch für die politische Kommunikation kontraproduktiv, wenn zum Beispiel die 44 Prozent der Befragten, die große Sorgen wegen des »Erstarken rechtsextremer Parteien« äußern, nicht explizit gewürdigt und unterstützt, sondern mit den Wählern der AfD in einen Topf als »die rechte Jugend« geworfen werden. Diesbezüglich wäre etwas mehr Gründlichkeit und Differenzierung nötig. Statt dessen wird in manchen Studien auch noch alles Mögliche ebenfalls als »rechts« oder »rechtsoffen« diffamiert. Aussagen wie, dass »die da oben« andere Interessen haben als »wir hier unten« und »einfache Menschen« der Regierung egal seien, werden dann oft nicht als vielleicht etwas undifferenzierter Klassenstandpunkt erörtert, sondern meist sofort als Teil von »Populismus« und »Verschwörungserzählungen« in die rechte Ecke gestellt. Das sollte skeptisch machen. Zumal viele alarmistische Medien, die solche Aussagen tätigen, oft kaum Interesse zeigen für die realen Lebenslagen, Lebenswelten, Empfindungen und Ansichten junger Menschen.

Damit werden viele Medien, Politikerinnen und Politiker und auch manche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst zum Teil des Problems. Das gilt es genauer zu untersuchen, da die Vermutung besteht, dass aus genau diesen Verzerrungen heraus und den damit verbundenen Kommunikationsstörungen der Aufstieg der AfD mitzuerklären ist. Außerdem lässt sich die Vermutung äußern, dass das rechte gesellschaftspolitische Projekt zur Militarisierung Deutschlands und zur Vorbereitung auf Krieg (zum Beispiel gegen Russland) durch Aufrüstung, Kriegspropaganda (auch bei Kindern), Waffenexporte usw. hin zur »Kriegstüchtigkeit« von einer sehr großen Koalition aus SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und AfD am besten betrieben werden kann, wenn es auch noch im Namen eines angeblichen »Kampfes gegen rechts« durchgeführt wird. Auch dies sollte im Auge behalten werden.

Was für ein Rechtsruck?

Im Jahre 2017 fand sich in der Reihe »Wiso direkt« der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) ein beeindruckender Artikel über »Angst im Sozialstaat« von Sigrid Betzelt und Ingo Bode.⁷ Die Autoren begriffen die verschiedenen neoliberalen Sozialstaatsreformen im Rahmen der »Agenda 2010« als ein gigantisches Verarmungs-, Entrechtungs- und Disziplinierungsprogramm für die große Masse der abhängig Beschäftigten (dass es – in Verbindung mit Steuerentlastungen für Wohlhabende – auch ein Bereicherungsprogramm für die herrschende Klasse war und ist, war ihnen entgangen). Alle Lohnabhängigen »wussten« von nun an, dass sie nach einem Jahr Arbeitslosigkeit sofort im weitgehend rechtlosen Fürsorgesystem von Sozialhilfe/Hartz IV landeten, ohne Achtung für ihre jahrelangen Einzahlungen in die Arbeitslosenversicherung und ohne Beachtung ihrer Qualifikation und in dem Wissen, dass ihr Lebensstandard spätestens im Alter durch die Rentenkürzungen und -privatisierungen seit der »Riester-Rente« systematisch abgesenkt und verunsichert wurde. Leiharbeiter vor Augen, die für die Hälfte des eigenen Lohns arbeiten, überlegte sich jeder Beschäftigte zweimal, ob er mit Betriebsrat, Gewerkschaft und Streikaufrufen mitging oder lieber brav »das Maul hält«. Minderheitenfeindliche Tendenzen und der Aufstieg rechtspopulistischer Kräfte verweisen aus Sicht von Betzelt und Bode auf eine damit verbundene latente soziale Krise. »Wir argumentieren, dass diese maßgeblich mit der Liberalisierung des deutschen Sozialmodells zusammenhängt. Diese provoziert Angstzustände, welche Anpassungsbereitschaften erzeugen, aber zugleich die soziale Integration strapazieren.«

Die damit verbundene Resignation ist offenbar spätestens nach einigen Jahren umgeschlagen in Ressentiments gegen Sündenböcke (von den seit einer Generation CDU-regierungsamtlich tolerierten neonazistischen, »national befreiten Zonen« in Sachsen und anderswo ganz zu schweigen). Und genau auf dieser Welle surft nun die AfD. Die FES-Autoren forderten dringend solidarische Sozialstaatsreformen, um unsolidarische und sozialdarwinistische Tendenzen zurückzudrängen. Wer sich heute fragt, warum die SPD in den ostdeutschen Bundesländern mit der Fünfprozenthürde kämpft, sollte sich diesen Aufsatz von vor sieben Jahren noch einmal zu Gemüte führen.

Erstaunlicherweise nahmen viele Mainstreammedien die Augsburger »Jugendwahlstudie 2024« (eine von Anfang Juli bis Mitte August 2024 erfolgte Befragung von tausend 16- bis 25jährigen) noch kurz vor den Wahlen in Thüringen und Sachsen mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis, fühlten sich aber zu keiner Zeit selbst angesprochen. So wird in der Regel mit Erstaunen referiert, dass viele junge Menschen sich als »links« verstehen, aber zugleich »rechte« Positionen vertreten oder gar »rechts« wählen würden.⁸ Dass viele Medien, Politiker, Wissenschaftler sich ebenfalls allzu oft als »links« oder »liberal« verstehen, aber Parteien präferieren, die rechtsautoritäre Politik betreiben (Aufrüstung, Kriegstüchtigkeitspropaganda, Waffenexporte, Sozialabbau usw.), kommt den über junge Menschen erstaunten Mainstreammedien nicht in den Sinn. Sie skandalisieren auch in der Regel nie Parteien oder deren Funktionäre, die grundgesetzwidrig den Sozialstaat abbauen wollen, die Vermögensteuer ablehnen, Aufrüstung, Waffenexporte und Kriegspropaganda betreiben, »Slava Ukraini« rufen oder mit Verherrlichern von Holocausthelfern wie Stepan Bandera zusammenarbeiten. Das ist alles o.k. für die selbstgerechte »Mitte«.

Derweil wird immer sichtbarer, dass von Regierungsseite jegliche Unterversorgung des Bildungswesens, der Flüchtlingsbetreuung, des Bürgergeldes oder der Kindergrundsicherung in Kauf genommen wird, aber der Rüstungsetat unantastbar ist. Auch die Waffenlieferungen an die Ukraine stehen nicht zur Disposition. Das ist rechts, das ist lebensgefährliche, rechte Politik. Nur wenige Menschen haben in den letzten Jahren dagegen demonstriert. Praktisch keine Mainstreammedien haben Demoaufrufe dazu verbreitet. Kaum Wissenschaftler haben in ihren (Jugend-)Studien überhaupt Parameter und Items für sozialstaatsfeindliche, die im Grundgesetz stehende Vermögensteuer ablehnende und das Friedensgebot des Grundgesetzes verletzende, also verfassungsfeindliche »rechte«, Propaganda und Politik der Militarisierung und des Sozialabbaus eingebaut.

Für die repräsentative Studie »Jugend in Deutschland 2024« wurden im Januar und Februar 2024 etwa 2.000 junge Leute von 14 bis 29 Jahren befragt. Sie gaben Antworten zu ihrer Parteipräferenz, ihren größten Sorgen, der Zufriedenheit mit ihrer persönlichen Lage (Finanzen, Gesundheit, berufliche Chancen) und der gesellschaftlichen Lage (Wirtschaft, Zusammenhalt, politische Verhältnisse, Lebensqualität in Deutschland). Als Ergebnis wurde festgestellt, dass die junge Generation im Vergleich zu den Befragungen der Vorjahre immer unzufriedener geworden ist, besonders hinsichtlich ihrer gesellschaftlich-wirtschaftlichen Lage.

Philipp Wundersee vom WDR fasste für tagesschau.de am 23. April 2024 die wichtigsten Sorgen der befragten jungen Menschen zusammen: »Die großen Sorgen der jungen Menschen in Deutschland aufgrund von Inflation (65 Prozent), teurem Wohnraum (54 Prozent) und Altersarmut (48 Prozent), aber auch die Spaltung der Gesellschaft (49 Prozent) oder die Zunahme von Flüchtlingsströmen (41 Prozent) führen zu hoher Unzufriedenheit der jungen Generation mit ihrer Lebenssituation und den politischen Verhältnissen.« Interessanterweise lässt der Autor aber verschiedene wichtige Sorgenverursacher außen vor, genauso wie deren Entwicklung in den letzten zwei Jahren: Da wären vor allem der »Krieg in Europa und in Nahost« mit immerhin 60 Prozent (2022: 68 Prozent; 2023: 59 Prozent), der Klimawandel mit 49 Prozent (2022: 55 Prozent, 2023: 52 Prozent), die Sorgen hinsichtlich der »Wirtschaftskrise« bei 48 Prozent der Jugendlichen (2022: 39 Prozent; 2023: 45 Prozent) oder auch das »Erstarken rechtsextremer Parteien« mit 44 Prozent unter den Befragten (2022: 35 Prozent; 2023: 32 Prozent). Schaut man diese Angaben unbefangen an, so kann man unmöglich zum Ergebnis kommen, dass »die Jugend rechts« eingestellt sei. Was immer auch für Interpretationen möglich wären, scheint doch zumindest eine ziemliche Spaltung innerhalb der jungen Generation sichtbar zu werden.

Gestresst und unzufrieden

Hinsichtlich des individuellen Wohlbefindens und psychischer Belastungen der befragten Jugendlichen zwischen 14 und 29 Jahren verkündet tagesschau.de einen besorgniserregenden Absturz: »Im Vergleich zu den früheren Studien scheint die Stimmung derzeit zu kippen. Das zeigt sich an einem hohen Ausmaß von psychischen Belastungen wie Stress, den 51 Prozent der Befragten angeben. Ähnlich zur Erschöpfung (36 Prozent) und der Hilflosigkeit (17 Prozent), die in den vergangenen drei Jahren trotz des Abflauens der Coronapandemie weiter angestiegen sind. Es geben elf Prozent der Befragten an, aktuell wegen psychischer Störungen in Behandlung zu sein.« Dies wird noch deutlicher, zieht man die beiden Vorjahreswerte hinzu: Demnach haben sich von 2022 über 2023 bis 2024 Stress (45, 46 und 51 Prozent), Erschöpfung (32, 35 und 36 Prozent), Selbstzweifel (25, 33 und 33 Prozent), Gereiztheit (22, 24 und 25 Prozent), Hilflosigkeit (13, 14 und 17 Prozent) und Suizidgedanken (7, 6 und 8 Prozent) deutlich erhöht, während »keine der genannten Belastungen« lediglich von 22 Prozent (2022: 23 Prozent, 2023: 19 Prozent) genannt wurden.

Kommen wir nun zu dem Aspekt, welcher offenbar das einzige öffentliche Interesse an dieser Studie und der jungen Generation motiviert, die Parteienpräferenz. Tagesschau.de vom 23. April 2024: »Die AfD stehe laut ihrer Befragung mit 22 Prozent aktuell an der Spitze der Wählergunst bei den unter 30jährigen (2022: 9 Prozent). AfD und CDU/CSU hätten stark in der Gunst zugelegt, die Regierungsparteien enorm verloren. Demnach würden sich 20 Prozent für die CDU entscheiden (2022: 16 Prozent). Alle weiteren Parteien verlieren bei der jungen Generation Stimmen: Die Grünen liegen in der Gunst der jungen Wähler zur Zeit bei 18 Prozent (2022: 27 Prozent), die SPD bei 12 Prozent (2022: 14 Prozent), die FDP bei acht Prozent (2022: 19 Prozent). Ein Viertel bezeichnete sich als unentschlossen.«

Selbstgerechte Mitte

Auch das ZDF kommt zu einer ähnlichen Bilanz: Unter der Überschrift »Deutlicher Rechtsruck« vermittelt zdf.de vom 23. April 2024 folgendes Studienergebnis: »Es sei ein deutlicher Rechtsruck in der jungen Bevölkerung zu sehen, so Autor Klaus Hurrelmann. Demnach sinken die Zustimmungswerte für die Grünen, die FDP und die SPD deutlich. Die Union (CDU und CSU) verbesserte sich der Umfrage zufolge bei jungen Menschen von 16 auf 20 Prozent, das neue Bündnis Sahra Wagenknecht kommt auf fünf Prozent. Die Zahl derjenigen, die auf die Frage, wen sie wählen würden, mit ›Ich weiß es nicht‹ antworteten, stieg deutlich von 19 Prozent vor zwei Jahren auf heute 25 Prozent.« Trotz der sinkenden Ampelwerte und steigenden Unions- und AfD-Wahlabsichten sollte selbst hierbei nicht vorschnell »die Jugend« als »rechts« bezeichnet werden, wie dies in vielen Beiträgen nach Veröffentlichung der Studie geschehen ist. In Verbindung mit den ermittelten Sorgen vieler junger Menschen ist zum Beispiel die gesunkene Zustimmung zur Ampel keineswegs grundsätzlich »rechts«. Genauso wenig gilt dies zwangsläufig für den Aufstieg des BSW oder die steigenden Zahlen bei den Unentschlossenen.

Dass die vorherrschende veröffentlichte Meinung in Politik, Medien und Wissenschaft nicht unbedingt mit der öffentlichen Meinung übereinstimmt, wurde schließlich sichtbar anhand der Wahlen zum EU-Parlament im Juni 2024. Was war herausgekommen aus all den Studien und Prognosen? Zunächst einmal muss die Vergleichbarkeit vieler Untersuchungen befragt werden, da sich die einen auf 12- bis 18jährige oder 16- bis 24jährige beziehen, die anderen auf 18- bis 24jährige, wieder andere schauen auf 14- oder 16- bis 29jährige usw. Auch im Zeitverlauf muss berücksichtigt werden, dass die Gruppe der unter 25jährigen bei der Wahl 2024 von 16 bis 24 Jahre und bei der Wahl 2019 nur von 18 bis 24 Jahre alt war. Dies alles in Rechnung gestellt, lässt sich folgendes zum Wahlergebnis sagen: Die AfD wurde von der gesamten Wahlbevölkerung zu 16 Prozent gewählt, und bei den unter 25jährigen erhielt sie ebenfalls 16 Prozent. Das bedeutet zwar für die unter 25jährigen eine Verdreifachung der AfD-Wählerinnen und Wähler im Verhältnis zur letzten EU-Wahl, jedoch keinen wesentlichen »Ausreißer« im Verhältnis zu den älteren Altersgruppen. Im Gegenteil, denn während der Bayerische Rundfunk zwar am 11. Juni 2024 titelte »Europawahl 2024: Arbeiterpartei AfD – die Jugend wählt rechts«, konnten die verlinkten Studienergebnisse von Infratest Dimap auf der gleichen Homepage die Behauptung über »die Jugend« deutlich entkräften. Zwar erhielt die AfD bei den Arbeitern tatsächlich von allen Parteien die höchsten Werte (33 Prozent), konnte das aber für die Jungwähler keineswegs von sich sagen. Bei den 16- bis 24jährigen schnitten die Union mit 17 Prozent, die AfD mit 16 Prozent, die Grünen mit elf Prozent, die SPD mit neun Prozent, die FDP mit sieben Prozent, die Linkspartei mit sechs Prozent und das BSW ebenfalls mit sechs Prozent ab. Zugleich wählten etwa 28 Prozent der jungen Wähler nichtetablierte Parteien wie Die PARTEI, Volt, Tierschutzpartei usw. 84 Prozent der Jungwähler gaben bei den Wahlen zum EU-Parlament ihre Stimme also nicht der AfD.

Etwas differenzierter zu den Altersgruppen ermittelte Infratest Dimap – wie gesagt – für die Gesamtwählerschaft und für die 16- bis 24jährigen 16 Prozent für die AfD; bei den 25- bis 34jährigen waren es immerhin 18 Prozent, bei den 35- bis 44jährigen sogar 20 Prozent, bei den 45- bis 59jährigen wieder 18 Prozent, bei den 60- bis 69jährigen 15 Prozent und bei den über 70jährigen »nur« acht Prozent. Wenn also Altersgruppen als besonders AfD-affin beschrieben werden sollten, so wären dies vor allem die 35- bis 44jährigen. »Die« Jugend unter 25 lässt sich demgegenüber eher als »durchschnittlich« beschreiben. Was nichts an der Dramatik des Rechtsextremismus ändert.

Dennoch spricht fast der gesamte liberale Medienmainstream seit der Hurrelmann-Studie und nach den EU-Wahlen vom »Rechtsruck« der Jugend. Nur die FAZ vom 20. Juni 2024 kam nach einer weiteren Jugendbefragung durch das Allensbach-Institut zu einer konträren Ansicht: »17 Prozent der Deutschen unter 30 finden die AfD am sympathischsten. Insgesamt ist die Jugend aber eher links als rechts, wie eine Allensbach-Umfrage (…) zeigt. In den vergangenen Monaten gab es wiederholt aufgeregte öffentliche Diskussionen über die politische Orientierung der jungen Generation. Vor wenigen Jahren sei sie noch überwiegend links gewesen, habe sich vor allem für Umwelt- und Klimaschutz interessiert, nun sei sie nach rechts gerückt, sei frustriert und perspektivlos und habe sich unter dem Einfluss der sozialen Medien der AfD zugewandt.«⁹

Lechts und Rinks?

Was der Medienmainstream jungen Menschen für ihre politische Sozialisation anbietet, ist eine Diffamierung widerständiger Positionen und Umlenkung einer möglichst breiten Schicht Jugendlicher in die »Mitte«: Wer Coronamaßnahmen kritisierte, war AfD-nah und rechts, wer sich nicht impfen lassen wollte, war »Nazi«, »Impfterrorist« und »Sozialschädling«,¹⁰ wer gegen Waffenlieferungen an die Ukraine argumentiert, ist wie die AfD, also rechts, wer die Kriegsverbrechen in Gaza ablehnt, ist bestimmt rechts (aber nicht mit der AfD, die das Vorgehen der israelischen Armee wegen ihres Hasses auf Muslime gutheißt); wer nicht sternchen-gendert, spricht wie die AfD, wer sich die Klimapolitik der Bundesregierung (Wärmepumpen, Frackinggas, Verbrennerausstieg, E-Autos) nicht leisten kann oder will, ist ein Klimaleugner, also ebenfalls rechts und mit der AfD. Bei der Anzahl der hierbei Diffamierten ist es fast ein Wunder, dass nicht noch viel mehr junge wie alte Menschen regelrecht zur AfD-Wahl getrieben wurden.

Wie hohl klingt da das offiziell geäußerte »Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus«. Alle völkerrechtswidrigen Angriffskriege durch NATO-Staaten in den letzten drei Jahrzehnten blendet der Mainstream einfach aus. Die eigene Komplizenschaft beim saudischen Krieg im Jemen, das eigene Schweigen zum aserbaidschanischen Angriff auf Armenien sowie zu türkischen oder israelischen Aggressionen gegen Irak oder Syrien interessieren genauso wenig. Der einzige wirkliche völkerrechtswidrige Angriffskrieg ist der Krieg Russlands gegen die Ukraine – dessen Vorgeschichte man, versteht sich, ausblendet. NATO-Expansionismus, Regime-Change 2014 mit Nationalisten und Neofaschisten, Bombardement der ostukrainischen Zivilbevölkerung mit schwerer Artillerie durch von NATO-Staaten bewaffnete Kiewer Militärs und rechtsextreme Paramilitärs, all das soll es einfach nicht gegeben haben; alles nur Kreml-Propaganda. Alles rechts.

Für einen jungen Menschen, der unter diesen politischen, medialen und wissenschaftlichen Bedingungen aufgewachsen ist, dürfte es einigermaßen schwer sein, sich im Rechts-links-Koordinatensystem zurechtzufinden. Bei dieser »Umwortung aller Worte« werden augenscheinlich zentrale Inhalte des Adjektivs »links« entfernt und durch reaktionäre Inhalte ersetzt. Vor diesem Hintergrund sollten auch die verschiedenen Jugendstudien und deren politische, mediale und wissenschaftliche Thematisierung kritisch betrachtet werden. Es drängt sich der Verdacht auf, dass sich die veröffentlichte Meinung nur dafür interessiert, wie viele junge Menschen beabsichtigen, die AfD zu wählen; alles andere scheint nebensächlich zu sein, wird umgehend vergessen oder verdrängt. Und damit wird womöglich schon ein zentrales Bündel von Ursachen für Ansichten und politische Entscheidungen vieler junger Menschen ausgeblendet. Der »Extremismus der Mitte« in Politik, Medien und Wissenschaft gerät derweil zum entscheidenden Steigbügelhalter für den Rechtsruck in den gesamten europäischen Gesellschaften.

Anmerkungen:

1 https://www.freitag.de/autoren/georg-fuelberth/ukraine-krieg-haben-sich-linke-in-wladimir-putin-getaeuscht

2 Vgl. Norberto Bobbio: Rechts und Links: Zum Sinn einer politischen Unterscheidung. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 5/1994, S. 543–549

3 Vgl. https://simon-schnetzer.com/trendstudie-jugend-in-deutschland-2024/ oder https://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/549130/wie-ticken-jugendliche-sinus-jugendstudie-2024/

4 Vgl. https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2024-09-01-LT-DE-TH/umfrage-alter.shtml sowie https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2024-09-01-LT-DE-SN/umfrage-afd.shtml

5 Vgl. Pauline Reibe: Jung, ostdeutsch, rechts: Darum wählt meine Generation die AfD. In: Hamburger Morgenpost, 2.9.2024

6 https://www.generation-thinking.de/post/jugenwahlstudie-2024 sowie https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/studie-jugend-100.html

7 Vgl. https://collections.fes.de/publikationen/content/zoom/1210952

8 Vgl. Frankfurter Rundschau, 27.8.2024; ein Phänomen, welches auch schon in Studien seit den 1990er Jahren über sich als eher »links« verstehende Gewerkschafter bemerkt wurde, die offen für standortnationalistische und »rechte« Parolen waren. Vgl. Richard Stöss: Gewerkschaften und Rechtsextremismus in Europa, Berlin 2017, S. 25 f.

9 Thomas Petersen: Debatte über Rechtsruck. Wer jung ist, steht eher links der Mitte. In: FAZ, 20.6.2024

10 Vgl. Der Freitag, 27.6.2024

Wie ein Kriegsminister spricht

„Wir brauchen diese öffentliche Debatte, um den Ernst der Lage klarzumachen: Einerseits erleben wir durch das aggressive Auftreten Russlands eine neue Bedrohungslage in Europa, andererseits haben wir eine Fähigkeitslücke, die wir kurzfristig nur mithilfe der USA-Verbündeten schließen können, bis wir diese Waffen selbst entwickelt haben.“

Verteidigungsminister Boris Pistorius zur Debatte über die geplante Stationierung von weitreichenden US-Waffen in Deutschland. (HNA/WLZ 17.08.2024, Beilage Sonntagszeit, S. 2)

Zur Klarstellung:

1. Was bedeutet Debatte?

„Eine Debatte (von französisch débattre „diskutieren, erörtern“) ist ein Streitgespräch, das im Unterschied zur Diskussion formalen Regeln folgt und in der Regel zur inhaltlichen Vorbereitung einer Abstimmung dient.“ (Wikipedia)

Minister Pistorius meint offenbar kein klärendes Streitgespräch, sondern betreibt Propaganda für die Stationierung todbringender und weitreichender Waffen in Deutschland. Denn eine Abstimmung ist laut Besatzungsstatut („Nato-Vertrag“) nicht vorgesehen, weil dabei eine Ablehnung riskiert würde.

2. Der Ernst der Lage besteht nicht erst seit Februar 2022, als die russische Armee mit ihrer „Spezialoperation“ gegen die Ukraine begann, sondern schon seit 10 Jahren, als 2014 auf dem Kiewer Maidan der von den USA unterstützte Putsch gegen die demokratisch gewählte Regierung erfolgte und die ukrainische Armee 8 Jahre lang die russisch sprechende Bevölkerung der Regionen Donbass und Luhansk bombardierte – unter den Augen der „westlichen Wertegemeinschaft“.

3. Die neue Bedrohungslage in Europa ist seitdem das Ergebnis erfolgreicher Autosuggestion willfähriger Politiker, die – statt die Lebensinteressen ihres Wahlvolkes und ihrer Wirtschaft – die Profitinteressen von weltweiten Rüstungskonzernen sowie den weltweiten Dominanz-Anspruch der USA bedienen.

4. Die orwellsche Wortschöpfung Fähigkeitslücke ist pure Propaganda und zielt auf das positiv besetzte „zu etwas fähig sein“ und somit positive Möglichkeiten zu haben, die negativ besetzte „Lücke“ zu schließen. Diese soll mit der anstehenden Stationierung nur provisorisch und kurzfristig geschlossen werden, „bis wir diese Waffen selbst entwickelt haben.“

5. Mit dem propagandistischen wir des Ministers soll offensichtlich eine emotionale Verbundenheit von Herrschern und Beherrschten und ein Ansporn für die tüchtige Waffenindustrie ausgedrückt werden.

Fazit

Leider sind wir in Wirklichkeit offenbar schon weiter als es uns in den „Leitmedien“ weis gemacht wird. Folgendes probieren Sie bitte in Ihrem Browser zu finden, es ist eine notwendige, sehr nützliche Lektüre:

Pressenza Der 3. Weltkrieg hat bereits begonnen

Bitte nicht staunen! Wie Stimmungsmache zum Verbraucher kommt.

Kriegsertüchtigung aktuell im Supermarkt unter Kultur, Hobby, Reisen

Hat der oder die kaufmännische Angestellte beim Einräumen des Zeitschriftenregals etwa seinen bzw. ihren Sinn für Ironie bewiesen? Beim eiligen Gang in Richtung Putzmittel fällt der zufällige Blick links in Augenhöhe auf wirklich unerwartete Bilder: Panzer, historische Infanteristen im Schützengraben, Ortsangaben mit Jahreszahlen. Die früheste: Friedland 1807, Napoleons fatalster Sieg (ganz unten!). Die späteste: Riesenposter D-Day (das war 1944 die Landung der Amerikaner in der Normandie, ganz oben, wie versteckt). Dazwischen posaunt CLAUSEWITZ, „Das Magazin für Militärgeschichte“: „Ostpreußen 1914, Wie das Ostheer die Niederlagen in einen Sieg verwandelte“. Etwa eine bislang unbekannte Heldengeschichte?

Es gibt auch Aktuelles: UKRAINEKRIEG Ursachen und Verlauf kompakt erklärt (links). Das hört sich ja richtig neutral an. Im „Erlebnisberichte – Großband“ (rechts) der pompöse Titel „Jagdkommando Reimers“. Auch „Panzergrenadiere – Technik und Einsatz“ oder „Der Gepard – Der beste Flak-Panzer der Welt?“ unterbrechen das offenbar langweilige Friedensgesülze und haben einen abenteuerlichen Akzent.

Zum besseren Orientierung sandte heute das Kasseler Friedensforum diesen Aufruf:

Massive Aufrüstung, Großmacht- und Führungsansprüche und die mentale Militarisierung der deutschen Politik haben atemberaubende Züge angenommen. So soll nicht nur die Bundeswehr kriegstüchtig gemacht werden, Wirtschaft und Gesellschaft sollen auf „Vaterlandsverteidigung“ getrimmt werden. Der EU-Wirtschaftskommissar erklärt: „Wir müssen in den Modus der Kriegswirtschaft wechseln“.

Profiteure der Militarisierung der Wirtschaft sind die Rüstungskonzerne und ihre Zulieferer, während die große Mehrheit der Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten die ökonomischen und sozialen Lasten tragen müssen. Priorität für Aufrüstung und Militär heißt Sozialabbau und Kürzungen bei Gesundheit, Bildung, Umwelt und Infrastruktur. Der 100-Milliarden-Euro-Schuldenfond für die Bundeswehr, 32 Milliarden an die Ukraine, und weitere Ausgabensteigerungen, um das 2%-Ziel der NATO zu erfüllen und zu übertreffen, zeigen, wohin die Reise geht. Die Schuldenbremse soll für alle gelten – außer für die Bundeswehr – und wird so zum Sturmgeschütz gegen die Interessen der Lohnabhängigen und Gewerkschaften.

Dagegen setzen wir: Friedenspolitik und Sozialpolitik gehören zusammen. Wer den Sozialstaat will, muss gegen Aufrüstung und Kriegsbeteiligung kämpfen.

Dazu bietet das Kasseler Friedensforum ein Webinar an: Dienstag, 18.06.2024, 18.00 h, Wir bitten um Anmeldung unter folgendem Link:

https://us02web.zoom.us/meeting/register/tZ0vduyqrzoqGt0cuL7sq6C9jGmUIB-ErxZ_Wir schicken dann die Einwahldaten zur Teilnahme am Webinar.

Omas gegen rechts – Friedenspreis für praktizierte politische Bildung

Wenn ich als einstiger Sozialkunde- beziehungsweise GL-Lehrer wieder mal mit der Angetrauten ihre frühere Heimat besuche, entdecke ich immer wieder für mich Neues. So kürzlich in der Thüringer Landeshauptstadt Erfurt, als wir das lange Himmelfahrt-Wochenende ausnutzend Samstagmittag am Endpunkt der Einkaufsmeile „Anger“ am Cafè-Haus-Tisch in der Sonne saßen. Omas gegen rechts hatten am großen Brunnen einen rege besuchten Info-Tisch.

Daheim in Nordhessen hatten wir bislang von solchen Aktivistinnen nur aus den Medien erfahren. So zum Beispiel aus dem Beitrag der Hessenschau vom 05.02.24:

Gerlinde Bauer (66, Ortsgruppe Gießen, [d. Verf.]) geht seit ihrer Jugend regelmäßig demonstrieren: Anti-Atomkraft-Demos, Nato-Doppelbeschluss, der Abtreibungsparagraph 218. „Viele von uns sind schon lange in der einen oder anderen Form politisch aktiv“, sagt sie über die Gießener Omas. Doch auch in dieser Hinsicht ändere sich gerade etwas.

Immer häufiger erlebe sie, dass sich Frauen melden, die in ihrem bisherigen Leben wenig oder noch gar nicht demonstriert haben, sagt Bauer. Das begeistere sie. „Sie wollen vielleicht erstmal Flyer verteilen oder so – und dann erfolgt ein Kompetenzzuwachs. Der eigenen Sorge aktiv Ausdruck zu verleihen – das hat was von Selbstwirksamkeit“, findet Bauer.

Erste Oma-Proteste 2017 in Österreich

Die erste „Omas gegen rechts“-Gruppe wurde 2017 in Österreich gegründet. Hintergrund war dort die Wahl von Sebastian Kurz zum Kanzler und die Sorge vor einem Rechtsruck im Land.

Inspiriert davon wurde 2018 auch in Deutschland der Verein Omas gegen rechts und unabhängig davon eine Facebook-Gruppe von Omas gegen rechts ins Leben gerufen – „um unsere Stimme gegen den wachsenden Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus in Deutschland zu erheben“, wie es auf der Homepage heißt.

Mittlerweile haben die Omas gegen rechts nach eigener Aussage rund 15.000 Mitglieder, in ihrer bundesweiten Facebook-Gruppe sind es 3.500 Mitglieder. Während sich einige Omas über den Verein organisieren, vernetzen sich andere lose in ihren Ortsgruppen via Social Media. Die Omas gegen rechts sind eine überparteiliche Organisation und finanzieren ihre Aktionen mit Spenden – größtenteils von den eigenen Mitgliedern.

Mit „gegen rechts“ meinen sie rechtsradikale Parteien und Organisationen, deren Ziele sie bekämpfen. Neben Demos gegen Rechtsextremismus unterstützen sie aber beispielsweise auch Klimademos und setzen sich, wie sie sagen, allgemein dafür ein, eine lebensfreundliche Zukunft für ihre Enkel zu gestalten.

https://www.hessenschau.de/gesellschaft/mitgliederzahlen-steigen-warum-immer-mehr-omas-gegen-rechts-sein-wollen-v1,omas-rechts-100.html

Was also beispielsweise in Gießen seit 1968 eine vielleicht öfters mühevolle private Tradition hat, lebt jenseits der einstigen „Zonengrenze“ (damals noch als staatliche Doktrin, aber immerhin!) schon länger – und heutzutage offensichtlich auch konsequenter, denn beide Parolen auf dem Banner bilden einen immerwährenden Auftrag.

Ganz aktuell: die bundesweite Initiative Omas gegen Rechts erhält am 1. September den Aachener Friedenspreis 2024!

https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/aachener-friedenspreis-2024-100.html

Folge der Narrenfreiheit

Es gibt verschiedene Bezeichnungen für ein offensichtlich wieder sehr aktuelles mentales Phänomen, über das schon im 19. Jahrhundert, als vor allem Erzeugnisse der Druckerpresse auf Papier quasi Massenmedien waren, ein bedeutender Schriftsteller eine Parabel schrieb. Zwar heißt es „Namen sind Schall und Rauch“, aber ebenso: „Nomen est Omen“. Je nachdem, wie man das Phänomen betrachtet, heißt es Meinungsbeeinflussung oder -änderung, -manipulation oder sogar Gehirnwäsche.

Letzterer Terminus wurde in den 1960-er und 1970-er Jahren in den westlichen Medien dafür gebräuchlich, wie die Revolutionsregierung der Volksrepublik China unter Mao Zedong Nichtkommunisten, insbesondere den letzten Nachkommen des letzten Kaisers, in besonderen Lagern umerziehen wollte. Etwas netter wird dasselbe Verfahren im „Westen“ – etwa seit dem Jahr 1900 – Propaganda oder Publik Relations genannt. (Hierzu ist der Beitrag „Lesen bildet“ zu empfehlen!)

Scharfsinnig hat schon Iwan S. Turgenjew das entsprechende Prinzip geschildert, wie es auch heutzutage praktiziert wird. Er hatte sogar in Deutschland studiert, wie aus Wikipedia ersichtlich ist:

https://de.wikipedia.org/wiki/Iwan_Sergejewitsch_Turgenew#Leben

Und hier ist seine hellsichtige Beobachtung:

Der Narr

Einst lebte ein Narr. Er lebte lange herrlich und in Freuden. Allmählich gelangte jedoch das Gerücht zu ihm, er gelte überall als fader Narr.

Verwirrt und traurig überlegte er nun, was dagegen zu tun sei. Plötzlich erhellte ein Gedanke seinen dunklen Verstand…

Er verwirklichte sein Vorhaben sofort.

Als er auf der Straße einem Bekannte begegnete und dieser einen berühmten Maler zu preisen begann, rief er aus: „Was reden Sie da?… Dieser Maler ist längst abgetan! …Wissen Sie es nicht? Das hätte ich nicht von Ihnen erwartet! Was sind sie für ein rückständiger Mensch!“ Der erschrockene Bekannte stimmte sofort dem Narren zu.

„Was habe ich heute für ein herrliches Buch gelesen!“ sagte ein anderer Bekannter dem Narren. „Aber ich bitte Sie!“ schrie der Narr. „Schämen Sie sich nicht? Dieses Buch ist gar nichts wert! Niemand schätzt es mehr! Wissen Sie das nicht? Was sind Sie für ein rückständiger Mensch!“ Auch dieser Mensch erschrak und war sofort derselben Ansicht.

„Mein Freund N.N. ist ein wunderbarer Mann!“ versicherte dem Narren der dritte Bekannte. „Ein wahrhaft edler Charakter!“ „Himmel!“ rief der Narr aus. Wie jeder weiß, ist N.N. ein gemeiner Kerl! Er hat doch seine ganze Verwandtschaft bestohlen. Wie kommt es, dass Sie es nicht erfahren haben? Was sind Sie für ein rückständiger Mensch!“ Der dritte Bekannte erschrak ebenfalls, stimmte ihm zu und sagte sich von seinem Freunde los. …

Und so kam es, dass der Narr immer wieder dasselbe antwortete, sobald etwas gelobt wurde. Manchmal fügte er auch vorwurfsvoll hinzu: „Und Sie glauben auch noch an Autoritäten?“

„Ein böser, ein gehässiger Mensch!“ hieß es nun über den Narren. „Aber welch ein Kopf!“ „Und was für eine scharfe Zunge!“ fügten andere Bekannte hinzu. „O ja, er ist begabt.“ Schließlich bot ihm der Herausgeber einer Zeitung eine leitende Stelle als Kritiker an.

Und nun unterzog der Narr alle und alles einer bissigen Kritik, ohne seine Ausdrucksweise oder seine entrüsteten Ausrufe zu ändern.

Jetzt war er – der einst jede Autorität schmähte – selbst eine Autorität, und die Jugend verging vor Ehrfurcht vor ihm – und fürchtete ihn auch.

Ja, wie sollten diese unglückseligen Jünglinge sich auch verhalten? Obwohl ja – unter uns gesagt – eine derartige Verehrung nie angebracht ist, blieb ihnen nichts anderes übrig. Wie sollten sie ihm nicht Ehrfurcht bezeugen? Liefen Sie doch Gefahr, als rückständig zu gelten.

Ja wie gut geht es Narren, wenn sie unter Feigen leben!

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Seien Sie bitte ehrlich! Ist es heute anders?