Was bräuchte es für eine Revolution?

Das Frankenberger Museum als Erkenntnislabor

Zu Theorie und Praxis eines erfolgreichen Widerstandes

Nach der mehrjährigen Umbauphase wurde das einstige Heimatmuseum mit einer umfassenden Neukonzeption der Historiker Kirsten Hauer und Friedhelm Krause sowie Dr. Birgit Kümmel am 2. November 2024 feierlich wiedereröffnet.

„Die Abteilung Stadteinsichten und Kreisausblicke zeigt aus der vielfältigen Sammlung des Museums interessante, ungewöhnliche und auch seltene Exponate zu unterschiedlichen Themen des 19. und 20. Jahrhunderts.“ wird im Netz angekündigt. Dazu gehört auch ein Kapitel aus der deutschen Geschichte des Widerstands gegen Atomkraft.

Jedesmal, wenn Unzufriedenheit, Ärger oder sogar Wut im Volk wegen einer öffentlichen Angelegenheiten entsteht, ist die Forderung zu hören: „Dagegen muss doch etwas getan werden!“ Aber was, von wem – und wie?

Aus dem im Frankenberger Museum vorhandenen Dokumentationsmaterial [über den erfolgreichen „Bürgersturm“, der 1982 die Pläne von Atom-Industrie und Landes- wie Bundesregierung für den Bau einer Plutonium-Fabrik – genannt: „Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) für abgebrannte Kernbrennstoffe“ in Frankenberg-Wangershausen – scheitern ließ] sollten all jene, die vielleicht für einen Aufstand sind, rechtzeitig die richtigen Schlüsse ziehen.

Folgende Faktoren sind offenbar nötig:

  1. ein ungeheuerliches öffentliches Projekt;
  2. das Projekt ist noch nicht formal „abgesegnet“ und beschlossen, muss deswegen auch nicht erst mühevoll vor Gerichten angefochten werden;
  3. die für die Projektierung verantwortlichen Personen/Gremien sind bekannt und – weil demokratisch gewählt – politisch beeinflussbar;
  4. ein zeitlich konkretes, politisches Ziel – am besten ein Wahltag;
  5. eine sachgemäß hinreichende und allgemeinverständliche Information möglichst aller Betroffenen über Ursachen, Zusammenhänge und bekannte, vorhersehbar gefährliche Folgen;
  6. positiv besetzte und öffentlichkeitswirksame Happenings wie Demonstrationen, Feste und musikalische Events;
  7. positiv konnotierte (wohlmeinende) Berichte in lokaler und überregionaler Presse inkl. Fernsehen, heutzutage auch auf Info-Plattformen und in den „social media“.

Zu 1) Als ungeheuerliche Projekte entwickelten sich zum Beispiel seinerzeit ab 1994 „Stuttgart 21“ (S 1) sowie schon ab 1980 die „Startbahn West“ für den Frankfurter Flughafen. Wegen beiden wurden jeweils bundesweit enorme Proteststürme entfesselt mit zehntausenden Menschen, die sogar teils erhebliche Körperverletzungen zur Folge hatten.

Zu 2) Die jahrelangen Widerstandshandlungen mit oft sehr spektakulären Demonstrationen und Aktionen (Wald- und Platzbesetzungen) gegen beide mussten deswegen zwangsläufig erfolglos bleiben, weil ja damit bereits vorhandene exekutive Beschlüsse bekämpft wurden, die sodann von der Staatsmacht mittels Polizei gewaltsam und mit Verletzten, teils auf beiden Seiten, durchgesetzt wurden. Schließlich befinden sich öffentliche Projekte anfänglich immer in der reinen Planungsphase, bevor sie dann von einem demokratisch legitimierten Organ der Exekutive beschlossen werden.

Zu 3 & 4) Alle Politiker haben Angst vor negativen Wahlergebnissen, durch die sie ihr Amt/Mandat, also die Macht verlieren könnten. Konkret verlor die Landesregierung aus CDU und FDP bei der Landtagswahl im Jahr 2011 wegen S 1 in Baden-Württemberg die Macht, und schließlich kam ein Grüner als Ministerpräsident an die Macht.

Das Finale des Kampfes gegen die „Startbahn West“ entwickelte sich Ende 1981. Wenige Wochen vor der ersten Zeitungsnotiz, in der die Planung zur WAA in Frankenberg-Wangershausen bekanntgegeben wurde, gingen am 14. November in Wiesbaden 120.000 Menschen auf die Straße, um gegen die Startbahn-Pläne zu demonstrieren. Am 15. November kam es nach bundesweiter Mobilisierung zu Protesten in Frankfurt, bei denen sowohl der Flughafen als auch Autobahnen blockiert wurden. In der Innenstadt kam es während der folgenden Woche zu täglichen Protestveranstaltungen. Vor diesem Hintergrund wurde von den Mitgliedern der Bürgerinitiative Umweltschutz Frankenberg (BIUF) Anfang Dezember 1981 über einen glaubwürdigen und wirksamen Widerstand gegen die WAA beraten.

Es musste auf jeden Fall verhindert werden, dass sich Atomkraftgegner bundesweit als sogenannte Demo-Touristen einfänden und mitmischten. Zudem wurde entschieden, für die Landtagswahl im September 1982 gemeinsam mit vielen anderen Bürgerinitiativen die GRÜNEN statt die FDP (Mitglied der Regierungskoalition der Landesregierung) zu wählen, damit sie an der 5-Prozent-Hürde scheitert. Denn die „Liberalen“ hatten sich schon als unbelehrbare Atomkraftbefürworter erwiesen.

Das war ein überschaubarer und zu schaffender Zeitraum. Der Slogan hieß: „Macht den Wahlzettel zum Denkzettel!“

Zu 5 & 7) Informationen sind das A und O in der Motivation für Menschen, sich für Widerstand zu engagieren. Zu Recht befürchtete dauerhaft existenzielle Gefahren für Natur und Nachkommen sind entscheidende Gründe für aktives Engagement. So entstand damals folgerichtig ein spontanes Bündnis von Atomkraft- und Startbahngegnern mit Umweltschützern auch aus dem Vogelsberg, das die Absichten der Atomindustrie wie bei Gorleben ins Wanken brachte.

Zu 6) Wenn Widerstandshandlungen wie Demos und thematisch passende Feste Spaß machen, sind sie in der Folge immer erfolgreicher und befeuern wiederum die Medienschaffenden, positiv darüber zu berichten! Das ermutigt sodann weitere Menschen zur Beteiligung.

Resümee

Im Unterschied zu Gorleben entwickelten die erfolgreichen Widerstandshandlungen in und um Frankenberg kein Kontinuum, für die es eine auf Dauer angelegte Organisationsstruktur – z. B. einen Verein – braucht. Mit dem erfolgreichen Wahlergebnis, das mit dem Scheitern der FDP die aktuelle politische Macht-Architektur erschütterte und schließlich zur Absage der Pläne der Atomkonzerne führte, waren die Akteure zufrieden und glaubten, mit der in den Landtag frisch eingezogenen Partei Die Grünen werde die energiepolitische Grundsatzfrage gelöst.

Überall ist Niederbayern – Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos

Niederbayerns Wirtschaft schlägt Alarm: Jetzt sind auch Jobs in Gefahr

Anmerkung: Die Situationsbeschreibung dieser Pressemitteilung trifft in allen angesprochenen Aspekten auch auf Korbach, Waldeck-Frankenberg, ja auf ganz Deutschland zu. Die jüngsten Wirtschafts-Gipfel-Inszenierungen der Ampel hätten also gespart werden können.

Die Grundstimmung in der Wirtschaft ist ähnlich schlecht wie zur Corona-Zeit, warnt die Industrie- und Handelskammer Niederbayern.

Passau (obx) – Der Arbeitsmarkt in Niederbayern steht vor einer Trendwende. In den vergangenen Jahren stieg die Zahl der Beschäftigten immer weiter. Doch in der aktuellen Konjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) Niederbayern zeigt sich: Mehr als jeder vierte Industriebetrieb in Niederbayern (28 Prozent) geht in den kommenden zwölf Monaten von einer rückläufigen Beschäftigtenzahl aus. Bereits jetzt passen immer mehr Betriebe ihre Kapazitäten durch Kurzarbeit oder längerfristig durch Personalabbau an.

Diese Entwicklung steht sinnbildlich für das Gesamtergebnis der neuesten IHK-Konjunkturumfrage, heißt es von der IHK Niederbayern. Der Konjunkturklimaindikator, der die aktuelle Lage sowie die Erwartungen für die Zukunft miteinander verknüpft, ist im Sinkflug und befindet sich demnach 16 Prozent unter dem Durchschnitt. Nur noch 34 Prozent aller befragten Unternehmen bewerten die Geschäftslage als gut, 19 Prozent bereits als schlecht.

Die Erwartungen für die Zukunft bereiten noch mehr Grund zur Sorge: Rund ein Drittel sieht jetzt schon massive Probleme für die Zukunft. „Die Gesamtstimmung in der Wirtschaft ist ähnlich schlecht wie zur Corona-Zeit“, sagt Alexander Schreiner, Hauptgeschäftsführer der IHK Niederbayern. Die negative Entwicklung betrifft alle Branchen, ist aber in der Industrie besonders ausgeprägt. Rund die Hälfte aller Unternehmen verzeichnet sinkende Auftragsvolumina. Auch hier stechen die Zahlen der Industriebetriebe hervor. Ganz gravierend sind die Zahlen im Fahrzeugbau, Zulieferbetriebe mit eingerechnet. Hier berichten knapp 95 Prozent von einem in den letzten sechs Monaten gesunkenen Auftragsvolumen, sowohl im In- als auch im Ausland. 56 Prozent der Fahrzeugbau-Unternehmen melden eine schlechte Geschäftslage, 68 Prozent gehen von sinkenden Beschäftigungszahlen aus.

„Der Wirtschaftsstandort Deutschland gerät im globalen Wettbewerb immer mehr ins Hintertreffen“, fürchtet Niederbayerns IHK-Präsident Thomas Leebmann. Ursächlich sind nach seinen Worten dafür vor allem die sich weiter verschlechternden Rahmenbedingungen, die die Unternehmen in Deutschland vorfinden: Hohe Arbeits- und Energiekosten und überbordende Bürokratie. Hinzu komme inzwischen eine schwächelnde Nachfrage im In- und Ausland.

Nicht nur in der Industrie lassen die Zahlen die Alarmglocken läuten. So macht die Konsumzurückhaltung der Verbraucher etwa dem Handel schwer zu schaffen. Mehr als 80 Prozent der Befragten beklagen ausbleibende Kunden – so viele wie in keiner anderen Branche. Selbst das bevorstehende Weihnachtsgeschäft scheint die Stimmung nicht zu heben. Obwohl die Kaufkraft der Haushalte durch Lohn- und Gehaltssteigerungen in Kombination mit rückläufigen Inflationsraten theoretisch gestiegen ist, bleiben die Umsatzerwartungen laut Umfrage überwiegend pessimistisch.

Im Tourismusgewerbe klaffen die gegenwärtige Geschäftslage und die Erwartungen für die Zukunft weit auseinander. Obwohl die aktuelle Situation als recht positiv beschrieben wird, wird für das kommende Jahr nahezu einhellig mit Einbußen gerechnet.

Öffentliche Buch-Vorstellung am Gedenktag

Am 9. November um 12 Uhr wird ein neues Buch zum jüdischen Friedhof in Fritzlar-Ungedanken öffentlich präsentiert. Dort liegen Juden aus den Orten Mandern, Ungedanken und Rothhelmshausen begraben. Herausgeber des Buches ist der Geschichtsverein Fritzlar. 

Die Veranstaltung findet im Dorfgemeinschaftshaus Ungedanken statt, wo die drei Autoren ihr neues Werk präsentieren. Es sind Johannes Grötecke sowie Alfred Hucke aus Bad Wildungen und Richard Oppenheimer, USA, der ein Nachfahre Ungedankener Juden ist. Die drei haben die über 60 Grabsteine fotografiert, die Inschriften übersetzt, genealogische Angaben zu den Familien gesammelt und eine kurze Geschichte der hiesigen Juden vorangestellt. 

Das Buch umfasst 230 Seiten und kostet 22 Euro.

Wie aus einer Nussschale: alternative Posts im digitalen Zeitalter

Analoge Mails an Altglas-Container-Wänden

Diesmal nahm ich mir die Zeit und zum Fotografieren mein Smartphone. Denn schon kurz nach unserem Umzug in die nordhessische Kleinstadtstadt im zweiten Jahr der COVID-19-Pandemie waren mir die Beschriftungen auf den Altglas-Containern am Rande des kleinen Parks, aufgefallen. Bisher aber hatte ich es meist eilig, oder es war kalt, regnete oder ich war mit einem Hund an der Leine unterwegs.

Nun aber nahm ich die sorgfältig, quasi in der Art Schulschrift der 70-er und 80-er Jahre des vorigen Jahrhunderts mit der Hand und weißem Deko-Stift geschriebenen, immer noch gut sichtbaren, etwa in Hüfthöhe akkurat wie auf Linie angefertigten Beschriftungen bewusst wahr.

Sie entzündeten in mir die Frage, wer sich denn und warum wohl diese Mühe machte, vermutlich am helllichten Tag auf einem Hocker sitzend, wenn Jogger oder andere, Spaziergänger oder Familien mit Kindern oder Hunden vorbeikämen, gerade hier die – zuvor daheim ausgesuchten – Zitate zu veröffentlichen.

Da wird Alexander von Humboldt, der Forschungsreisende, Humanist und Begründer der Schulpflicht in Preußen, als Pionier des Tourismus gedeutet.

An auffälligster Stelle des „Weißglas“-Containers fällt jedoch das Zitat der mexikanischen Malerin Frida Kahlo auf, in dem ebenfalls unser natürliches Sehen mit seinen oberflächlichen Schlussfolgerungen in einem Satz thematisiert wird.

Außer dem Entdecker und der Malerin kommt sogar noch der englische Schriftsteller Oscar Wilde als Gesellschaftskritiker mit einer immer noch richtigen Erkenntnis zu Wort:

Es gibt bestimmt Graphologen, die feststellen könnten, ob die Beschriftungen mit ihren rundlichen Formen tatsächlich von einer Frau stammen. Und ob die eigentümliche Verkürzung der Umlaut-Punkte zu einem Querstrich vielleicht sogar auf ihren ungefähren Jahrgang schließen ließe.

Jedenfalls lässt die Auswahl der Themen und deren Autoren auf eine Person mit einer tieferen kulturellen Bildung schließen – aber was erhoffte sie bei den zufälligen Lesern ihrer Posts zu erreichen?

Vielleicht ging und geht es manchen wie mir: Wer sind denn die zitierten Autoren? Von der mexikanischen Malerin und vom deutschen Begründer der humanistischen Bildung hatte ich ja schon eine Vorstellung. Zum ersten Mal habe ich mich aber nun näher mit Walt Whitman beschäftigt, dem viel gelobten und von berühmten Komponisten oder Songwritern vertonten amerikanischen Poeten.

Die amerikanische LGBTQ-Bewegung reklamiert ihn heute als einen ihrer Vorläufer. Die Brücke, die den Delaware River zwischen Philadelphia und Gloucester City, New Jersey, in der Nähe von Whitmans Wohnhaus in Camden, überspannt, trägt seinen Namen ebenso wie ein Krater auf dem Merkur.

Migration und – ja, Heimat – lauter Versuche

Was ist deine Heimat? „Äthiopien, Deutschland ist die zweite“, bekennt Biruk Mengistu Kebede mit einem nachdenklichen Lächeln, der – weil daheim politisch verfolgt – seit 2015 hier lebt. Von ihm hängen in der Bad Wildunger Stadtkirche unter dem Titel „Heimat“ derzeit bis zum 20. Oktober dieses Jahres mehrere seiner eindrucksvollen Gemälde. Jene mit den Frauenfiguren, meist Schwestern Kebedes und deren Freundinnen, strahlen eine eigentümliche Sehnsucht aus.

Was ist noch – oder schon – Heimat? Einen Migrationshintergrund haben ja genau genommen in Deutschland nicht nur Asylbewerber, Kriegs- und Armutsflüchtlinge. Oder „Gastarbeiter“ aus Spanien, Griechenland, Italien und der Türkei kamen als Menschen. Sie haben jetzt auch Familien, teilweise schon in der dritten Generation.

„Die Auseinandersetzung darüber, welchen Begriff von Heimat wir verwenden wollen, was wir meinen, wenn wir uns über Heimat unterhalten oder auch streiten, ist ein Schlüssel für die Kultur einer kommenden Gesellschaft. Die extreme Rechte versucht, den Begriff seit geraumer Zeit im Sinne einer „völkischen“ Ideologie von „Blut und Boden“ zu besetzen und sie als politische Waffe gegen einen angeblich heimatlosen, verräterischen Liberalismus einzusetzen, der nur kosmopolitisches und grenzenloses Chaos verspreche. Gleichzeitig freilich ist „Heimat“ ein Geschäftsmodell, das Tourismus, mediale Heimatfantasien und industrielle Folklore gewinnbringend einsetzt.

Diesem zweifachen Missbrauch kann man begegnen, indem man den anderen, den humanistischen, offenen und utopischen Begriff wieder in sein Recht setzt, der genauso tief in unserer Kultur verankert ist wie der regressive und chauvinistische. Für einen allgemeinen Dialog wäre schon viel gewonnen, wenn uns klar ist, wie viele unterschiedliche Dinge gemeint sein können, wenn von Heimat die Rede ist.“ So Markus Metz und Georg Seeßlen in: Heimat – der offene Begriff; Deutschlandfunk.

Hierher gehört jetzt ein ganz aktuelles Zitat von Heribert Prantl, dem Juristen und Kolumnisten der Süddeutschen Zeitung, vom 06.10.2024 in seiner online-Kolumne „Prantls Blick“:

Ein Aha-Erlebnis nach dem anderen
Keiner kann dem Autor Hein de Haas vorhalten, er wisse nicht, wovon er rede. Ich hätte es an einigen Stellen gern getan, gebe ich zu. Zu wissen, wovon man redet, ist immer wichtig, besonders aber, wenn es um Migration geht. Das ist ein Thema, bei dem die meisten meinen, sie wüssten Bescheid, bei dem Wissensstärke und Meinungsstärke aber oft nicht Hand in Hand gehen. Der niederländische Sozialwissenschaftler und Geograf Hein de Haas forscht seit drei Jahrzehnten zum Thema Migration, nicht nur vom Schreibtisch aus, sondern in zahlreichen Feldstudien weltweit. Er lehrte in Oxford, wo er auch die Co-Leitung des International Migration Institute innehatte, und ist gegenwärtig Professor für Soziologie in Amsterdam und Professor für Migration in Maastricht. De Haas ist also hochkompetent, und er ist stinksauer darüber, wie die Diskussion geführt wird, nämlich als Pro-und-Kontra-Debatte für oder gegen Migration. Dies sei ähnlich dumm, wie für oder gegen Wirtschaft, für oder gegen Landwirtschaft oder für oder gegen Umwelt zu diskutieren, stellt er fest.

Sein Ärger ist einer der Gründe, warum de Haas sein Buch geschrieben hat: „Migration. 22 populäre Mythen und was wirklich hinter ihnen steckt.“ Das Buch ist so stark und so lehrreich, dass es eine längere Besprechung verdient, als sie hier an dieser Stelle üblich ist.  „Wie oft ist es mir passiert“, schreibt de Haas,  „dass Politiker im Anschluss an einen Vortrag auf mich zukommen, mir zu meinem ‚großartigen Vortrag‘ gratulieren und im selben Atemzug hinzufügen: ‚Das könnten wir natürlich niemals umsetzen, das wäre ja politischer Selbstmord.‘ Daher wende ich mich in diesem Buch direkt an Sie, die Bürgerinnen und Bürger“.  Das Buch von Hein de Haas empfehle ich Ihnen nicht, weil es mich in meinen eigenen Meinungen bestärkt – das tut es durchaus, aber manchmal auch nicht. Ich empfehle es Ihnen, weil es mich in einigen meiner Meinungen irritiert und mein vermeintliches Wissen korrigiert hat. Wenn de Haas am Anfang seiner Kapitel (die man übrigens nach Gusto jedes für sich lesen und auch einige überspringen kann) den jeweiligen Migrationsmythos darstellt, habe ich mich manches Mal ertappt gefühlt: Das denkst du doch auch … 

Ein Beispiel: Auch ich meine, Entwicklungshilfe, Bildung, Armutsbekämpfung seien Mittel, Migration einzudämmen. Schließlich verbessere man damit die Bedingungen in den Herkunftsländern und vermindere Faktoren, die die Menschen zum Verlassen ihrer Heimat zwingen – denn eines der Hauptmotive von Zuwanderern sei, dem Elend zu entkommen. So dachte ich. Nach de Haas weit gefehlt: Zunächst sei Entwicklung ein Motor für Migration, weil er die Menschen erst in Stande setze, mobil zu werden, sowohl was ihre Ressourcen, als auch was ihre Motivation betreffe. Erst wenn ein Land ein gewisses Maß an Wohlstand erreicht hat, wird es von einem Auswanderungsland zu einem Einwanderungsland, siehe Italien. Überhaupt sind, folgt man de Haas, nicht Armut und Ungleichheit die Treiber für Migration, die ohnehin überwiegend Binnenmigration und nicht Richtung Europa gerichtet ist. Treiber für Zuwanderung, sowohl für erwünschte als auch für unerwünschte, ist die Nachfrage nach Arbeitskräften in Einwanderungsländern. De Haas nennt es das bestgehütete offene Geheimnis der westlichen Gesellschaften, dass Arbeitgeber und Personalagenturen aktiv um ausländische Arbeitnehmer werben, weil Migranten wichtige Arbeiten in systemrelevanten Branchen übernehmen. Zuwanderungsbeschränkungen werden deswegen die Zuwanderung nicht aufhalten; sie sorgen nur dafür, dass die illegale Zuwanderung steigt: „Politikern fällt es schwer, diese Wahrheit auszusprechen, denn damit würden sie ihrer Behauptung widersprechen, dass es für diese Migranten keine Arbeit gibt. Das ist eine Lüge, und das wissen sie auch. Die Wahrheit ist, dass unsere reichen, alternden und gebildeten Gesellschaften eine strukturelle Nachfrage nach Arbeitsmigranten entwickelt haben, die sich nicht beseitigen lässt, solange das Wirtschaftswachstum anhält. So gesehen ließe sich die Zuwanderung am wirkungsvollsten drosseln, indem man die Wirtschaft abwürgt.“

Wie gesagt, dies ist ein Beispiel.

Gönnen Sie sich ein Aha-Erlebnis nach dem nächsten und die Freude, sich irritieren und korrigieren zu lassen und am Ende etwas schlauer zu sein. Gönnen Sie sich einen rasanten Ritt durch die Geschichte der Migration und ihre unterhaltsam aufklärerische Entmythologisierung. Gönnen Sie sich Hein de Haas‘ neues Buch, das sich lesen lässt wie ein Schmöker – und das einen durchaus optimistisch zurücklässt.

Hein de Haas, Migration. 22 populäre Mythen und was wirklich hinter ihnen steckt. Das Buch hat 512 Seiten und ist im vergangenen Herbst im Fischer Verlag erschienen. Es kostet 28 Euro.

Über die heimliche Abschaffung des Bargeldes

Nur praktisch und bequem?

Seit der „Corona-Pandemie“ kann man es an an der Supermarkt-Kasse immer öfter erleben, wie jemand „kontaktlos“ mit seiner Bankkarte bezahlt. Manchmal hat man selber auch zu wenig Bares dabei. Etwas seltener wird schon mal nur das Smartphone vor das Lesegerät gehalten. Über manchen Kassen – und auch schon in Restaurants – ist zu lesen: Bitte zahlen sie kontaktlos! Meine letzte Fahrkarte für die Bahn bekam ich nur, weil ich auf dem Handy mit meiner Email-Adresse erreichbar war. Das Wunderding mutiert schon zum Allzweckmittel,

Die im folgenden – von Norbert Haering verlinkten – Artikel beschriebenen Beispiele, Situationen und Zustände zeigen, wie dahinter ein klandestines und ungesetzliches Bestreben nach der Bargeldabschaffung steckt.

Im letzten Absatz gibt es auch den Link zu einer Petition für den Erhalt des Bargeldes als allgemeines Zahlungsmittel: https://bargeldverbot.info/petition

Wo der Daumen links ist?

Abgeschrieben aus: junge Welt, Ausgabe vom 06.09.2024, Seite 12 / Thema

Die Jugend und die AfD – Wo der Daumen links ist?

Wie tickt die Jugend? Über junge Wähler, Rechtsruck und den Extremismus der Mitte

Von Michael Klundt

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Da ist einiges durcheinandergeraten. Vorgeblich friedensliebende junge Faschisten (Wahlkampfabschluss der Thüringer AfD auf dem Erfurter Domplatz, 31.8.2024) Foto: Po-Ming Cheung

Michael Klundt ist Professor für Kinderpolitik im Fachbereich Angewandte Humanwissenschaften der Hochschule Magdeburg-Stendal.

Es ist bitter zu erleben, dass viele (junge) Menschen, die berechtigterweise – nicht (nur) wegen falscher Kommunikation der Regierenden – mit der Politik der Bundesregierung und deren Auswirkungen unzufrieden sind, sich ausgerechnet eine rassistische Partei als »Alternative für Deutschland« aussuchen; eine Partei, die Zeit ihres Bestehens immer gegen einen armutsfesten Mindestlohn, gegen eine Vermögensteuer, gegen eine Bürgerversicherung, für Aufrüstung, für die Wehrpflicht, für den Gazakrieg und mehr Geld für das Militär eintritt; eine Partei, die den sozialen Rechtsstaat noch radikaler zerstören will, als das die übrigen Parteien bereits vorangetrieben haben.

Was ist links?

Wer indes wissen will, wie »rechts« die deutsche Jugend ist, muss sich zunächst seines eigenen Koordinatensystems vergewissern. Denn für jung und alt ist da seit einiger Zeit einiges ganz schön unübersichtlich geworden. Was bedeutet es zum Beispiel für sich als links verstehende Menschen, wenn sie hören, dass ein renommierter marxistischer Gelehrter inzwischen von sich sagt: »Ich bin nicht links, ich bin Kommunist.« In der Wochenzeitung Freitag vom 4. März 2022 schrieb der Politikwissenschaftler Georg Fülberth kurz nach dem Beginn des Ukraine-Krieges Ende Februar 2022: »Am 25. Februar fand eine Sondersitzung des Bundestags statt. Die Linkspartei lehnt Waffenexporte in die Ukraine und die Erhöhung der Rüstungsausgaben ab, nicht aber Sanktionen. Amira Mohamed Ali, die Kovorsitzende der Linksfraktion, machte Vorschläge für deren Feinjustierung. Die jahrzehntelange NATO-Osterweiterung kritisierte sie nicht. Dies überließ sie der AfD-Abgeordneten Alice Weidel und auch anderen Rednern von deren Fraktion, die in diesem Punkt – zugleich kontaminiert durch Forderungen nach Hochrüstung und Rückkehr zur Atomkraft – die Oppositionsführung übernahm, anstelle der Linkspartei.«¹

Fangen wir also mit der Ordnung unserer Begriffe an.² Was ist links? »Links« soll sein der Einsatz für soziale Gleichheit und Gerechtigkeit, für Demokratisierung und für Abrüstung sowie friedliche Koexistenz im Geiste internationaler Solidarität.

Was ist rechts?

»Rechts« soll sein der Einsatz oder die Akzeptanz für soziale Ungleichheit, für autoritäre Bevormundung der Mehrheit der Bevölkerung und für militärische Aufrüstung sowie national-egoistische Herrschafts- und Machtpolitik im Geiste internationaler Konkurrenz und des Kampfes gegen andere Staaten.

Was davon zeichnet die Ampelregierung aus und was die Oppositionsparteien? Wie viel davon wird von wissenschaftlichen Studien operationalisiert, erfragt und von einflussreichen Medien berichtet? Um dem nachzugehen, wird im folgenden die Thematisierung diverser Jugendstudien in Deutschland 2024³ in verschiedenen Leitmedien betrachtet. Doch zunächst geht es um die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen je nach Altersgruppen.

Die AfD gewinnt

Am 1. September 2024 sind alle vorherigen Befürchtungen eingetreten. Die AfD hat bei jung und alt enorm hinzugewonnen, so dass von einem regelrechten Rechtsruck die Rede ist. Die Stimmen für die AfD bei den Jungwählern sind zum Teil nicht (wesentlich) höher als bei den anderen Altersgruppen. So hatte laut Wählernachbefragung durch Infratest Dimap die AfD in Sachsen insgesamt 31 Prozent erhalten (plus drei im Vergleich zu 2019); die 18- bis 24jährigen wählten die AfD ebenfalls zu 31 Prozent (plus elf). In Thüringen erhielt die AfD insgesamt 33 Prozent (plus zehn), während 18- bis 24jährige sie zu 38 Prozent wählten (plus 15). Der Anstieg im Verhältnis zu den letzten Landtagswahlen 2019 ist also bei den Jungwählern deutlich steiler als bei den anderen Altersgruppen. Allerdings haben in Sachsen einige ältere Wählergruppen noch höhere AfD-Werte erzielt, und in Thüringen lagen die meisten anderen Altersgruppen mit 36 bis 37 Prozent eher auf der Höhe der Jungwähler. Die einzige Altersgruppe, die deutlich weniger AfD gewählt hat, waren in beiden Bundesländern die über 70jährigen (Sachsen: 24 Prozent, plus drei) und in Thüringen 19 Prozent (plus sechs).⁴

Etwas leiser als im Frühjahr und nach den Wahlen zum EU-Parlament im Juni 2024 sind nun vor diesem Hintergrund die Stimmen, die vor allem die jugendlichen Rechtswähler betonen und gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge ausblenden.⁵ Solcherart wurde und wird dann häufig auch »die Jugend ist rechts« oder »die Jugend wählt rechts« behauptet, obwohl zumindest eine große Mehrheit der Jungwähler gerade nicht AfD gewählt hat (zumindest deutlich mehr als 60 Prozent). Diese Form der Pauschalisierung erfüllt offenbar eine gewisse gesellschaftspolitische Entlastungsfunktion. Die Pauschalisierer müssen weniger über Erwachsene, Eltern und eigene journalistische, politische, wissenschaftliche und pädagogische Verantwortung für diese Entwicklung nachdenken. Es reicht, alle Probleme auf »die Jugend« zu projizieren. Dass in der Augsburger »Jugendwahlstudie 2024« 65 Prozent der ostdeutschen und 74 Prozent der westdeutschen Jugendlichen von Angst vor der AfD berichteten, dass in der Jugendstudie vom Frühjahr »Jugend in Deutschland 2024« unter anderem 44 Prozent der Befragten große Sorgen wegen des Aufstiegs rechtsextremer Parteien äußerten,⁶ wird dadurch einfach ausgeblendet. Die pauschale Aussage »die Jugend wählt rechts« über eine ganze Generation unterschlägt schlicht diesen Sachverhalt und ist undifferenziert.

Richtig ist: Ein wachsender Teil der Jugend wählt rechts. Deshalb ist es aber auch für die politische Kommunikation kontraproduktiv, wenn zum Beispiel die 44 Prozent der Befragten, die große Sorgen wegen des »Erstarken rechtsextremer Parteien« äußern, nicht explizit gewürdigt und unterstützt, sondern mit den Wählern der AfD in einen Topf als »die rechte Jugend« geworfen werden. Diesbezüglich wäre etwas mehr Gründlichkeit und Differenzierung nötig. Statt dessen wird in manchen Studien auch noch alles Mögliche ebenfalls als »rechts« oder »rechtsoffen« diffamiert. Aussagen wie, dass »die da oben« andere Interessen haben als »wir hier unten« und »einfache Menschen« der Regierung egal seien, werden dann oft nicht als vielleicht etwas undifferenzierter Klassenstandpunkt erörtert, sondern meist sofort als Teil von »Populismus« und »Verschwörungserzählungen« in die rechte Ecke gestellt. Das sollte skeptisch machen. Zumal viele alarmistische Medien, die solche Aussagen tätigen, oft kaum Interesse zeigen für die realen Lebenslagen, Lebenswelten, Empfindungen und Ansichten junger Menschen.

Damit werden viele Medien, Politikerinnen und Politiker und auch manche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst zum Teil des Problems. Das gilt es genauer zu untersuchen, da die Vermutung besteht, dass aus genau diesen Verzerrungen heraus und den damit verbundenen Kommunikationsstörungen der Aufstieg der AfD mitzuerklären ist. Außerdem lässt sich die Vermutung äußern, dass das rechte gesellschaftspolitische Projekt zur Militarisierung Deutschlands und zur Vorbereitung auf Krieg (zum Beispiel gegen Russland) durch Aufrüstung, Kriegspropaganda (auch bei Kindern), Waffenexporte usw. hin zur »Kriegstüchtigkeit« von einer sehr großen Koalition aus SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und AfD am besten betrieben werden kann, wenn es auch noch im Namen eines angeblichen »Kampfes gegen rechts« durchgeführt wird. Auch dies sollte im Auge behalten werden.

Was für ein Rechtsruck?

Im Jahre 2017 fand sich in der Reihe »Wiso direkt« der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) ein beeindruckender Artikel über »Angst im Sozialstaat« von Sigrid Betzelt und Ingo Bode.⁷ Die Autoren begriffen die verschiedenen neoliberalen Sozialstaatsreformen im Rahmen der »Agenda 2010« als ein gigantisches Verarmungs-, Entrechtungs- und Disziplinierungsprogramm für die große Masse der abhängig Beschäftigten (dass es – in Verbindung mit Steuerentlastungen für Wohlhabende – auch ein Bereicherungsprogramm für die herrschende Klasse war und ist, war ihnen entgangen). Alle Lohnabhängigen »wussten« von nun an, dass sie nach einem Jahr Arbeitslosigkeit sofort im weitgehend rechtlosen Fürsorgesystem von Sozialhilfe/Hartz IV landeten, ohne Achtung für ihre jahrelangen Einzahlungen in die Arbeitslosenversicherung und ohne Beachtung ihrer Qualifikation und in dem Wissen, dass ihr Lebensstandard spätestens im Alter durch die Rentenkürzungen und -privatisierungen seit der »Riester-Rente« systematisch abgesenkt und verunsichert wurde. Leiharbeiter vor Augen, die für die Hälfte des eigenen Lohns arbeiten, überlegte sich jeder Beschäftigte zweimal, ob er mit Betriebsrat, Gewerkschaft und Streikaufrufen mitging oder lieber brav »das Maul hält«. Minderheitenfeindliche Tendenzen und der Aufstieg rechtspopulistischer Kräfte verweisen aus Sicht von Betzelt und Bode auf eine damit verbundene latente soziale Krise. »Wir argumentieren, dass diese maßgeblich mit der Liberalisierung des deutschen Sozialmodells zusammenhängt. Diese provoziert Angstzustände, welche Anpassungsbereitschaften erzeugen, aber zugleich die soziale Integration strapazieren.«

Die damit verbundene Resignation ist offenbar spätestens nach einigen Jahren umgeschlagen in Ressentiments gegen Sündenböcke (von den seit einer Generation CDU-regierungsamtlich tolerierten neonazistischen, »national befreiten Zonen« in Sachsen und anderswo ganz zu schweigen). Und genau auf dieser Welle surft nun die AfD. Die FES-Autoren forderten dringend solidarische Sozialstaatsreformen, um unsolidarische und sozialdarwinistische Tendenzen zurückzudrängen. Wer sich heute fragt, warum die SPD in den ostdeutschen Bundesländern mit der Fünfprozenthürde kämpft, sollte sich diesen Aufsatz von vor sieben Jahren noch einmal zu Gemüte führen.

Erstaunlicherweise nahmen viele Mainstreammedien die Augsburger »Jugendwahlstudie 2024« (eine von Anfang Juli bis Mitte August 2024 erfolgte Befragung von tausend 16- bis 25jährigen) noch kurz vor den Wahlen in Thüringen und Sachsen mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis, fühlten sich aber zu keiner Zeit selbst angesprochen. So wird in der Regel mit Erstaunen referiert, dass viele junge Menschen sich als »links« verstehen, aber zugleich »rechte« Positionen vertreten oder gar »rechts« wählen würden.⁸ Dass viele Medien, Politiker, Wissenschaftler sich ebenfalls allzu oft als »links« oder »liberal« verstehen, aber Parteien präferieren, die rechtsautoritäre Politik betreiben (Aufrüstung, Kriegstüchtigkeitspropaganda, Waffenexporte, Sozialabbau usw.), kommt den über junge Menschen erstaunten Mainstreammedien nicht in den Sinn. Sie skandalisieren auch in der Regel nie Parteien oder deren Funktionäre, die grundgesetzwidrig den Sozialstaat abbauen wollen, die Vermögensteuer ablehnen, Aufrüstung, Waffenexporte und Kriegspropaganda betreiben, »Slava Ukraini« rufen oder mit Verherrlichern von Holocausthelfern wie Stepan Bandera zusammenarbeiten. Das ist alles o.k. für die selbstgerechte »Mitte«.

Derweil wird immer sichtbarer, dass von Regierungsseite jegliche Unterversorgung des Bildungswesens, der Flüchtlingsbetreuung, des Bürgergeldes oder der Kindergrundsicherung in Kauf genommen wird, aber der Rüstungsetat unantastbar ist. Auch die Waffenlieferungen an die Ukraine stehen nicht zur Disposition. Das ist rechts, das ist lebensgefährliche, rechte Politik. Nur wenige Menschen haben in den letzten Jahren dagegen demonstriert. Praktisch keine Mainstreammedien haben Demoaufrufe dazu verbreitet. Kaum Wissenschaftler haben in ihren (Jugend-)Studien überhaupt Parameter und Items für sozialstaatsfeindliche, die im Grundgesetz stehende Vermögensteuer ablehnende und das Friedensgebot des Grundgesetzes verletzende, also verfassungsfeindliche »rechte«, Propaganda und Politik der Militarisierung und des Sozialabbaus eingebaut.

Für die repräsentative Studie »Jugend in Deutschland 2024« wurden im Januar und Februar 2024 etwa 2.000 junge Leute von 14 bis 29 Jahren befragt. Sie gaben Antworten zu ihrer Parteipräferenz, ihren größten Sorgen, der Zufriedenheit mit ihrer persönlichen Lage (Finanzen, Gesundheit, berufliche Chancen) und der gesellschaftlichen Lage (Wirtschaft, Zusammenhalt, politische Verhältnisse, Lebensqualität in Deutschland). Als Ergebnis wurde festgestellt, dass die junge Generation im Vergleich zu den Befragungen der Vorjahre immer unzufriedener geworden ist, besonders hinsichtlich ihrer gesellschaftlich-wirtschaftlichen Lage.

Philipp Wundersee vom WDR fasste für tagesschau.de am 23. April 2024 die wichtigsten Sorgen der befragten jungen Menschen zusammen: »Die großen Sorgen der jungen Menschen in Deutschland aufgrund von Inflation (65 Prozent), teurem Wohnraum (54 Prozent) und Altersarmut (48 Prozent), aber auch die Spaltung der Gesellschaft (49 Prozent) oder die Zunahme von Flüchtlingsströmen (41 Prozent) führen zu hoher Unzufriedenheit der jungen Generation mit ihrer Lebenssituation und den politischen Verhältnissen.« Interessanterweise lässt der Autor aber verschiedene wichtige Sorgenverursacher außen vor, genauso wie deren Entwicklung in den letzten zwei Jahren: Da wären vor allem der »Krieg in Europa und in Nahost« mit immerhin 60 Prozent (2022: 68 Prozent; 2023: 59 Prozent), der Klimawandel mit 49 Prozent (2022: 55 Prozent, 2023: 52 Prozent), die Sorgen hinsichtlich der »Wirtschaftskrise« bei 48 Prozent der Jugendlichen (2022: 39 Prozent; 2023: 45 Prozent) oder auch das »Erstarken rechtsextremer Parteien« mit 44 Prozent unter den Befragten (2022: 35 Prozent; 2023: 32 Prozent). Schaut man diese Angaben unbefangen an, so kann man unmöglich zum Ergebnis kommen, dass »die Jugend rechts« eingestellt sei. Was immer auch für Interpretationen möglich wären, scheint doch zumindest eine ziemliche Spaltung innerhalb der jungen Generation sichtbar zu werden.

Gestresst und unzufrieden

Hinsichtlich des individuellen Wohlbefindens und psychischer Belastungen der befragten Jugendlichen zwischen 14 und 29 Jahren verkündet tagesschau.de einen besorgniserregenden Absturz: »Im Vergleich zu den früheren Studien scheint die Stimmung derzeit zu kippen. Das zeigt sich an einem hohen Ausmaß von psychischen Belastungen wie Stress, den 51 Prozent der Befragten angeben. Ähnlich zur Erschöpfung (36 Prozent) und der Hilflosigkeit (17 Prozent), die in den vergangenen drei Jahren trotz des Abflauens der Coronapandemie weiter angestiegen sind. Es geben elf Prozent der Befragten an, aktuell wegen psychischer Störungen in Behandlung zu sein.« Dies wird noch deutlicher, zieht man die beiden Vorjahreswerte hinzu: Demnach haben sich von 2022 über 2023 bis 2024 Stress (45, 46 und 51 Prozent), Erschöpfung (32, 35 und 36 Prozent), Selbstzweifel (25, 33 und 33 Prozent), Gereiztheit (22, 24 und 25 Prozent), Hilflosigkeit (13, 14 und 17 Prozent) und Suizidgedanken (7, 6 und 8 Prozent) deutlich erhöht, während »keine der genannten Belastungen« lediglich von 22 Prozent (2022: 23 Prozent, 2023: 19 Prozent) genannt wurden.

Kommen wir nun zu dem Aspekt, welcher offenbar das einzige öffentliche Interesse an dieser Studie und der jungen Generation motiviert, die Parteienpräferenz. Tagesschau.de vom 23. April 2024: »Die AfD stehe laut ihrer Befragung mit 22 Prozent aktuell an der Spitze der Wählergunst bei den unter 30jährigen (2022: 9 Prozent). AfD und CDU/CSU hätten stark in der Gunst zugelegt, die Regierungsparteien enorm verloren. Demnach würden sich 20 Prozent für die CDU entscheiden (2022: 16 Prozent). Alle weiteren Parteien verlieren bei der jungen Generation Stimmen: Die Grünen liegen in der Gunst der jungen Wähler zur Zeit bei 18 Prozent (2022: 27 Prozent), die SPD bei 12 Prozent (2022: 14 Prozent), die FDP bei acht Prozent (2022: 19 Prozent). Ein Viertel bezeichnete sich als unentschlossen.«

Selbstgerechte Mitte

Auch das ZDF kommt zu einer ähnlichen Bilanz: Unter der Überschrift »Deutlicher Rechtsruck« vermittelt zdf.de vom 23. April 2024 folgendes Studienergebnis: »Es sei ein deutlicher Rechtsruck in der jungen Bevölkerung zu sehen, so Autor Klaus Hurrelmann. Demnach sinken die Zustimmungswerte für die Grünen, die FDP und die SPD deutlich. Die Union (CDU und CSU) verbesserte sich der Umfrage zufolge bei jungen Menschen von 16 auf 20 Prozent, das neue Bündnis Sahra Wagenknecht kommt auf fünf Prozent. Die Zahl derjenigen, die auf die Frage, wen sie wählen würden, mit ›Ich weiß es nicht‹ antworteten, stieg deutlich von 19 Prozent vor zwei Jahren auf heute 25 Prozent.« Trotz der sinkenden Ampelwerte und steigenden Unions- und AfD-Wahlabsichten sollte selbst hierbei nicht vorschnell »die Jugend« als »rechts« bezeichnet werden, wie dies in vielen Beiträgen nach Veröffentlichung der Studie geschehen ist. In Verbindung mit den ermittelten Sorgen vieler junger Menschen ist zum Beispiel die gesunkene Zustimmung zur Ampel keineswegs grundsätzlich »rechts«. Genauso wenig gilt dies zwangsläufig für den Aufstieg des BSW oder die steigenden Zahlen bei den Unentschlossenen.

Dass die vorherrschende veröffentlichte Meinung in Politik, Medien und Wissenschaft nicht unbedingt mit der öffentlichen Meinung übereinstimmt, wurde schließlich sichtbar anhand der Wahlen zum EU-Parlament im Juni 2024. Was war herausgekommen aus all den Studien und Prognosen? Zunächst einmal muss die Vergleichbarkeit vieler Untersuchungen befragt werden, da sich die einen auf 12- bis 18jährige oder 16- bis 24jährige beziehen, die anderen auf 18- bis 24jährige, wieder andere schauen auf 14- oder 16- bis 29jährige usw. Auch im Zeitverlauf muss berücksichtigt werden, dass die Gruppe der unter 25jährigen bei der Wahl 2024 von 16 bis 24 Jahre und bei der Wahl 2019 nur von 18 bis 24 Jahre alt war. Dies alles in Rechnung gestellt, lässt sich folgendes zum Wahlergebnis sagen: Die AfD wurde von der gesamten Wahlbevölkerung zu 16 Prozent gewählt, und bei den unter 25jährigen erhielt sie ebenfalls 16 Prozent. Das bedeutet zwar für die unter 25jährigen eine Verdreifachung der AfD-Wählerinnen und Wähler im Verhältnis zur letzten EU-Wahl, jedoch keinen wesentlichen »Ausreißer« im Verhältnis zu den älteren Altersgruppen. Im Gegenteil, denn während der Bayerische Rundfunk zwar am 11. Juni 2024 titelte »Europawahl 2024: Arbeiterpartei AfD – die Jugend wählt rechts«, konnten die verlinkten Studienergebnisse von Infratest Dimap auf der gleichen Homepage die Behauptung über »die Jugend« deutlich entkräften. Zwar erhielt die AfD bei den Arbeitern tatsächlich von allen Parteien die höchsten Werte (33 Prozent), konnte das aber für die Jungwähler keineswegs von sich sagen. Bei den 16- bis 24jährigen schnitten die Union mit 17 Prozent, die AfD mit 16 Prozent, die Grünen mit elf Prozent, die SPD mit neun Prozent, die FDP mit sieben Prozent, die Linkspartei mit sechs Prozent und das BSW ebenfalls mit sechs Prozent ab. Zugleich wählten etwa 28 Prozent der jungen Wähler nichtetablierte Parteien wie Die PARTEI, Volt, Tierschutzpartei usw. 84 Prozent der Jungwähler gaben bei den Wahlen zum EU-Parlament ihre Stimme also nicht der AfD.

Etwas differenzierter zu den Altersgruppen ermittelte Infratest Dimap – wie gesagt – für die Gesamtwählerschaft und für die 16- bis 24jährigen 16 Prozent für die AfD; bei den 25- bis 34jährigen waren es immerhin 18 Prozent, bei den 35- bis 44jährigen sogar 20 Prozent, bei den 45- bis 59jährigen wieder 18 Prozent, bei den 60- bis 69jährigen 15 Prozent und bei den über 70jährigen »nur« acht Prozent. Wenn also Altersgruppen als besonders AfD-affin beschrieben werden sollten, so wären dies vor allem die 35- bis 44jährigen. »Die« Jugend unter 25 lässt sich demgegenüber eher als »durchschnittlich« beschreiben. Was nichts an der Dramatik des Rechtsextremismus ändert.

Dennoch spricht fast der gesamte liberale Medienmainstream seit der Hurrelmann-Studie und nach den EU-Wahlen vom »Rechtsruck« der Jugend. Nur die FAZ vom 20. Juni 2024 kam nach einer weiteren Jugendbefragung durch das Allensbach-Institut zu einer konträren Ansicht: »17 Prozent der Deutschen unter 30 finden die AfD am sympathischsten. Insgesamt ist die Jugend aber eher links als rechts, wie eine Allensbach-Umfrage (…) zeigt. In den vergangenen Monaten gab es wiederholt aufgeregte öffentliche Diskussionen über die politische Orientierung der jungen Generation. Vor wenigen Jahren sei sie noch überwiegend links gewesen, habe sich vor allem für Umwelt- und Klimaschutz interessiert, nun sei sie nach rechts gerückt, sei frustriert und perspektivlos und habe sich unter dem Einfluss der sozialen Medien der AfD zugewandt.«⁹

Lechts und Rinks?

Was der Medienmainstream jungen Menschen für ihre politische Sozialisation anbietet, ist eine Diffamierung widerständiger Positionen und Umlenkung einer möglichst breiten Schicht Jugendlicher in die »Mitte«: Wer Coronamaßnahmen kritisierte, war AfD-nah und rechts, wer sich nicht impfen lassen wollte, war »Nazi«, »Impfterrorist« und »Sozialschädling«,¹⁰ wer gegen Waffenlieferungen an die Ukraine argumentiert, ist wie die AfD, also rechts, wer die Kriegsverbrechen in Gaza ablehnt, ist bestimmt rechts (aber nicht mit der AfD, die das Vorgehen der israelischen Armee wegen ihres Hasses auf Muslime gutheißt); wer nicht sternchen-gendert, spricht wie die AfD, wer sich die Klimapolitik der Bundesregierung (Wärmepumpen, Frackinggas, Verbrennerausstieg, E-Autos) nicht leisten kann oder will, ist ein Klimaleugner, also ebenfalls rechts und mit der AfD. Bei der Anzahl der hierbei Diffamierten ist es fast ein Wunder, dass nicht noch viel mehr junge wie alte Menschen regelrecht zur AfD-Wahl getrieben wurden.

Wie hohl klingt da das offiziell geäußerte »Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus«. Alle völkerrechtswidrigen Angriffskriege durch NATO-Staaten in den letzten drei Jahrzehnten blendet der Mainstream einfach aus. Die eigene Komplizenschaft beim saudischen Krieg im Jemen, das eigene Schweigen zum aserbaidschanischen Angriff auf Armenien sowie zu türkischen oder israelischen Aggressionen gegen Irak oder Syrien interessieren genauso wenig. Der einzige wirkliche völkerrechtswidrige Angriffskrieg ist der Krieg Russlands gegen die Ukraine – dessen Vorgeschichte man, versteht sich, ausblendet. NATO-Expansionismus, Regime-Change 2014 mit Nationalisten und Neofaschisten, Bombardement der ostukrainischen Zivilbevölkerung mit schwerer Artillerie durch von NATO-Staaten bewaffnete Kiewer Militärs und rechtsextreme Paramilitärs, all das soll es einfach nicht gegeben haben; alles nur Kreml-Propaganda. Alles rechts.

Für einen jungen Menschen, der unter diesen politischen, medialen und wissenschaftlichen Bedingungen aufgewachsen ist, dürfte es einigermaßen schwer sein, sich im Rechts-links-Koordinatensystem zurechtzufinden. Bei dieser »Umwortung aller Worte« werden augenscheinlich zentrale Inhalte des Adjektivs »links« entfernt und durch reaktionäre Inhalte ersetzt. Vor diesem Hintergrund sollten auch die verschiedenen Jugendstudien und deren politische, mediale und wissenschaftliche Thematisierung kritisch betrachtet werden. Es drängt sich der Verdacht auf, dass sich die veröffentlichte Meinung nur dafür interessiert, wie viele junge Menschen beabsichtigen, die AfD zu wählen; alles andere scheint nebensächlich zu sein, wird umgehend vergessen oder verdrängt. Und damit wird womöglich schon ein zentrales Bündel von Ursachen für Ansichten und politische Entscheidungen vieler junger Menschen ausgeblendet. Der »Extremismus der Mitte« in Politik, Medien und Wissenschaft gerät derweil zum entscheidenden Steigbügelhalter für den Rechtsruck in den gesamten europäischen Gesellschaften.

Anmerkungen:

1 https://www.freitag.de/autoren/georg-fuelberth/ukraine-krieg-haben-sich-linke-in-wladimir-putin-getaeuscht

2 Vgl. Norberto Bobbio: Rechts und Links: Zum Sinn einer politischen Unterscheidung. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 5/1994, S. 543–549

3 Vgl. https://simon-schnetzer.com/trendstudie-jugend-in-deutschland-2024/ oder https://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/549130/wie-ticken-jugendliche-sinus-jugendstudie-2024/

4 Vgl. https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2024-09-01-LT-DE-TH/umfrage-alter.shtml sowie https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2024-09-01-LT-DE-SN/umfrage-afd.shtml

5 Vgl. Pauline Reibe: Jung, ostdeutsch, rechts: Darum wählt meine Generation die AfD. In: Hamburger Morgenpost, 2.9.2024

6 https://www.generation-thinking.de/post/jugenwahlstudie-2024 sowie https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/studie-jugend-100.html

7 Vgl. https://collections.fes.de/publikationen/content/zoom/1210952

8 Vgl. Frankfurter Rundschau, 27.8.2024; ein Phänomen, welches auch schon in Studien seit den 1990er Jahren über sich als eher »links« verstehende Gewerkschafter bemerkt wurde, die offen für standortnationalistische und »rechte« Parolen waren. Vgl. Richard Stöss: Gewerkschaften und Rechtsextremismus in Europa, Berlin 2017, S. 25 f.

9 Thomas Petersen: Debatte über Rechtsruck. Wer jung ist, steht eher links der Mitte. In: FAZ, 20.6.2024

10 Vgl. Der Freitag, 27.6.2024

Wahltag – Qualtag?

Ob dieser erste September 2024 in die Geschichtsbücher eingehen wird, werden wohl die Historiker und Schulbuch-Autoren einmal entscheiden. Jedenfalls haben viele, wohl viel zu viele Kundige und selbsternannte Experten in den vergangenen Monaten eine Spaltung Deutschlands festgestellt. Demnach gibt es wieder zwei Deutschlands 35 Jahre nach dem Fall der Mauer. Traditionsparteien wie die in Berlin regierende „Ampel“ aus SPD, FDP und Grünen scheinen bei den heutigen Wahlen zu den Landtagen in Thüringen und Sachsen chancenlos zu sein.

Dass dagegen die „Neulinge“ AfD und BSW (Bündnis Sara Wagenknecht) stimmenmäßig absahnen, scheint eine ausgemachte Sache zu sein.

An diesem Sonntag scheint die Sonne, vielleicht bilden sich hier und da ein paar Gewitterwolken? Die allgemeine Stimmungslage scheint bis zu den ersten Hochrechnungen nach Schließung der Wahllokale angespannt zu sein. Da könnte ja folgende aktuelle Glosse aus der Tageszeitung junge Welt etwas entspannend wirken:

„Von der Thüringer Landtagswahl am 1. September liegt bereits das vorgebliche amtliche Endergebnis vor. Demnach hat die AfD mit 33 Prozent die meisten Stimmen erhalten, gefolgt von CDU, Die Linke und BSW mit jeweils 18 Prozent. Die Landesbratwurstpartei kam auf sieben, auf die »Sonstigen« entfielen sechs Prozent, darunter drei auf SPD, Grüne und FDP. Nicht jeweils, sondern zusammen. Der ordnungsgemäße Zustand der Wahlprotokolle wurde von Beobachtern der venezolanischen Regierung bestätigt. Union, Linkspartei und das Bündnis Sahra Wagenknecht nahmen noch in der Wahlnacht die Streitigkeiten zur Bildung einer Koalition auf.

In einer Verletzungspause trat Nochministerpräsident Ramelow mit eingegipsten Beinen vor die Presse und kündigte die Umbenennung der Thüringer Linkspartei in Bündnis Bodo Ramelow (BBR) an. Danach teilte CDU-Chef Mario Voigt (mit Kopfverband) mit, dass die Union in Thüringen künftig Bündnis Helmut Kohl (BHK) heißen wird. Die BSW-Inhaberin Sahra Wagenknecht verfolgte die Auftritte ihrer künftigen Koalitionspartner von der Hotelbar aus, während sie eine Kalaschnikow auseinandernahm, reinigte und wieder zusammensetzte.

Die Spitzenkandidatin der Bündnisgrünen, deren Name noch in der Wahlnacht in Vergessenheit geraten ist, räumte die Niederlage ein und erklärte sie mit der »asymmetrischen Kriegführung der Herren Putin, Lukaschenko und Söder«. Und fügte hinzu: »Das ist natürlich ein Schlacks im Gesicht!« Die Grünen werden fürderhin als Bündnis Rudolf Steiner (BRS) antreten.

Die SPD wird derweil aus dem Wahlergebnis die Konsequenzen ziehen und über die Abschiebung von Olaf Scholz nach Afghanistan beraten. Der Nochlandesvorsitzende, dessen Namen ebenfalls keiner mehr kennt, warnt seine Genossen vor einer Umbenennung: »Wir sind die einzige Partei Deutschlands, die nie ihren Namen ändern musste!« – »Das ist Unsinn, mein lieber Dings. 1863 hießen wir ADAV, ab 1869 SDAP, ab 1871 SAP …« – »Wie der Softwaremulti? Wie geil!« – »Wir könnten uns doch Bündnis MS-DOS nennen, das klingt voll modern.« – »Oder Faxbündnis Deutschland (FBD)! Slogan: Wählt uns, wir machen Faxen!« – »Nein, faxen ist voll out. Die Jugend mailt jetzt. Also Bündnis Deutsche Mail (BDM)!« – »Mailen ist nicht woke, Thorben-Joy. Hitler war Kunstmailer, bevor er Politiker wurde.« – »Tatsächlich …?«

Zur selben Zeit diskutieren die Vorstände von AfD und Werteunion in einem Arnstädter Bordell über die Frage, wer sich künftig Bündnis Adolf Hitler (BAH) nennen darf. Gegen Mitternacht erschießt Höcke den Schäferhund von Hans-Georg Maaßen, woraufhin alle Mitglieder der Werteunion sofort der AfD beitreten, …

… während die Thüringer SPD weiter um die Namensfindung ringt. Ein Drittel ist für eine Fusion mit der CDU zum Bündnis Große Koalition (BeGeKack). Ein Drittel sieht keinen Handlungsbedarf, weil »uns eh kein Schwein mehr wählt, nicht mal für Geld«. Und das letzte Drittel votiert für die Bildung eines Arbeitskreises bei der Historischen Kommission. »Geht nicht, Genossen. Unsere Historische Kommission haben wir vor ein paar Jahren aufgelöst.« – »Warum das denn?« – »Die hat zuletzt nur noch Unfug angestellt.« – »Was denn?« – »Die haben eine Trockenhaube vom Friseur umprogrammiert zu einer KI-Zentrifuge, die aus den Artikeln des Grundgesetzes humoristische Trauerreden montiert.« – »Trauerreden für wen?« – »Für die SPD«.“

20. Juli, Delegitimierung, Stauffenberg, Kant und der Widerstand

Nicht nur aus Anlass des Tages vor 80 Jahren!

Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst der Delegitimierung. Wer wissen möchte, was denn das sperrige Fremdwort bedeutet, das in letzter Zeit so gerne sowohl von Angehörigen der „Ampel-Koalition“ als auch mit ihr sympathisierenden Journalisten in Talkshows zur Rechtfertigung allerlei fragwürdiger behördlicher Maßnahmen gebraucht wird, könnte sich zum Beispiel im Netz schlau machen und googeln.

An oberster Stelle bringt die Suchmaschine bereits die Position des Verfassungsschutzes:

https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/verfassungsschutzrelevante-delegitimierung-des-staates/verfassungsschutzrelevante-delegitimierung-des-staates_node.html

Eine allgemeine, unparteiische Erklärung bietet an zweiter Stelle die Plattform bedeutungonline.de:

https://www.bedeutungonline.de/was-ist-delegitimierung-bedeutung-definition-erklaerung

Hier wird die Legitimierung und deren Negierung zunächst allgemein, sodann in Bezug auf Staatshandeln juristisch und die historische Verwendung betrachtet.

Wikipedia priorisiert dagegen sogleich die Definition des Verfassungsschutzes:

https://de.wikipedia.org/wiki/Verfassungsschutzrelevante_Delegitimierung_des_Staates

Dabei werden die politischen Maßstäbe Links- und Rechtsextremismus entlang der – seit den „Berufsverboten“ in den 1970er Jahren – offiziellen Definitionen erläutert und gegen das Recht auf private Meinungsäußerung abgegrenzt.

Es ist sicher nützlich zu wissen, dass legitim im Gegensatz zu legal (sowie deren Negationen) nichts mit staatlichen Gesetzen zu tun hat. Bei bedeutungonline.de ist als Beispiel-Erläuterung für „allgemein anerkannt, unbestritten, berechtigt“ das folgende, leider nicht nachgewiesene Zitat zu finden:

Formell war er [Claus Schenk Graf von Stauffenberg] ein Hochverräter, aber ich halte das, was er getan hat [das Attentat auf A. Hitler am 20. Juli 1944], für legitim.“

Hierher gehört nun ein nachdenklicher Essay der aktuellen Berliner Morgenpost, in dem nicht nur auf die zahlreichen höchst unterschiedlichen Widerständler verwiesen wird, sondern auch deren Legitimität durch die moralische Motivation für den Mord des Diktators begründet wird.

https://www.morgenpost.de/politik/article406824569/20-juli-1944-was-wir-vom-widerstand-gegen-hitler-lernen-koennen.html

Formell also waren die Attentäter nach der Gesetzeslage Hochverräter. Denn im NS-Staat galt das (von den Nazis) geschriebene Gesetz. Für ihre Motivation gibt es den kategorischen Imperativ Immanuel Kants (1724 bis 1804). Dieser größte deutsche Philosoph und Aufklärer geriet allerdings durch diese Erkenntnis in Konflikt mit den damals Mächtigen in Kirchen und Staat.

Der Begriff „kategorisch“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Imperativ bedingungslos und allgemeingültig ist. Kant behauptet, dass moralische Handlungen auf einer universalen moralischen Gesetzgebung basieren sollten, die für alle rationalen Wesen gleichermaßen gilt. Der kategorische Imperativ fordert die Menschen auf, nach moralischen Prinzipien zu handeln, die universell anwendbar sind, unabhängig von den individuellen Umständen.

Kants kategorischer Imperativ basiert auf dem Prinzip des Autonomie. Kant argumentiert, dass die Menschen rationale Wesen sind, die die Fähigkeit haben, unabhängig von ihren individuellen Wünschen und Neigungen moralische Entscheidungen zu treffen. Der kategorische Imperativ soll Menschen dazu anleiten, moralisch zu handeln, indem sie vernünftige, allgemeingültige Prinzipien anwenden.“ (Quelle: das-wissen.de)

Somit haben wir auch einen Maßstab für legitimes staatliches Verhalten und Handeln, wenn Menschen – und nicht nur die Staatsbürger – entsprechend Kants Aufforderung nun, in der sich demokratisch nennenden Staatsform, den „Mut haben, sich des eigenen Verstandes zu bedienen“ und gegen die Obrigkeit Widerstand signalisieren. Allein in der Frage, ob ein gewisses Regierungshandeln – etwa mittels Gesetzen oder Verordnungen – legitim ist, steckt noch keine „Delegitimiereung“.

Mythos Mehrheit

Anmerkungen im Superwahljahr nach Kommunal- und EU-Wahl

Enttäuschung, Erstaunen, Freude oder Schulterzucken folgten auf die Bekanntgabe des Ergebnisses der Korbacher Bürgermeisterwahl. Mit dem Spruch „Mehrheit ist Mehrheit“ endete meist der Kommentar. Anders hingegen waren die Reaktionen auf die Ergebnisse der Wahl zum EU-Parlament. Sofort begannen die öffentlichen Überlegungen, wie aus den vielerlei unterschiedlich verorteten Abgeordneten eine Mehrheit zustande zu bringen sei, beispielsweise für die derzeitige Kommissionspräsidentin oder eine Mehrheit ohne „rechtsextreme“ Parteienvertreter.

Jedenfalls geht es für das jeweilige Wahlvolk stets um die Akzeptanz der aus der Wahlhandlung sich entwickelnden Ergebnisse.

In dem fast noch druckfrischen Buch „Demokratie in die Köpfe – Warum sich unsere Zukunft in den Schulen entscheidet“ (Hirzel Verlag 2023) gibt es hierzu auf Seite 53 einen bemerkenswerten Diskussionsbeitrag, auch für alle weiteren Wahlen:

Das Problem mit Mehrheiten.